Panik, Ohnmacht, Motivation

Die Psychologie hinter Krisen
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Text: Felix Bürkle, 10.07.2020

Eines scheint klar: Der Klimawandel ist nicht einfach weg, nur weil die Corona-Pandemie uns im Griff hat. Er ist und bleibt eine der größten Bedrohungen für die Menschheit. Doch wie ist es um unsere Ängste bezüglich des Klimawandels in Zeiten der Corona-Pandemie konkret bestellt? Warum werden manche Ängste plötzlich wichtiger als andere? Wir haben dazu mit der Umweltpsychologin Susanne Bolte von der Universität Salzburg gesprochen.

Alarmierende Zahlen

Aber rufen wir uns zunächst kurz das Wichtigste zum Klimawandel ins Gedächtnis: Laut National Geographic stimmen neun von zehn Wissenschaftlern darin überein, dass der Klimawandel durch menschenverursachte CO2-Emissionen beschleunigt wird. Die Website Klimafakten.de berichtet, dass 2016 das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war und sich der Erwärmungstrend seit mehreren Jahrzehnten kontinuierlich fortsetzt. Temperaturrekorde häufen sich, die Ozeane haben sich erwärmt und der Meeresspiegel steigt unaufhörlich. Der pH-Wert der Meeresoberfläche liegt aktuell im weltweiten Mittel bei etwa pH 8,1 und ist damit gegenüber der vorindustriellen Zeit bereits um rund pH 0,1 gesunken. Das bedroht zahlreiche Meereslebewesen wie Muscheln oder Schnecken, da sich Kalk bei niedrigeren pH-Werten nicht mehr gut als Schale anlagern kann.

Der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre nimmt stetig zu, 2017 lag er bereits 41 % über dem vorindustriellen Niveau. Grönland verliert kontinuierlich Eis, die Gletscher verschwinden. Diese Aufzählung ließe sich fortführen.

Vermeintlich weit weg

Insgesamt also Grund genug, um echte Panik zu kriegen. Und trotzdem waren wir bei den Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels jahrzehntelang einfach nicht konsequent und schnell genug. Warum nur? Der Schriftsteller Jonathan Franzen drückte es im Herbst 2019 in seinem viel beachteten Essay für den New Yorker so aus: „Psychologisch gesehen macht diese Leugnung Sinn. Trotz der ungeheuerlichen Tatsache, dass ich bald für immer tot sein werde, lebe ich in der Gegenwart, nicht in der Zukunft. Vor die Wahl gestellt zwischen einer alarmierenden Abstraktion (Tod) und den beruhigenden Anzeichen meiner Sinne (Frühstück!), zieht es mein Verstand vor, mich auf Letzteres zu konzentrieren. Auch der Planet ist noch wunderbar intakt, noch immer wechseln die Jahreszeiten im Grunde genommen ganz normal, ein weiteres Wahljahr steht bevor, neue Komödien auf Netflix – und sein bevorstehender Zusammenbruch ist für mich noch schwerer zu fassen als der Tod.“

Die Corona-Pandemie ist also irgendwie näher an das Alltagsbewusstsein der Menschen herangerückt. Sie traf uns akuter – die Folge waren Hamsterkäufe, Maskennähen, bis hin zur Denunziation des Nachbarn, der die offiziellen Regeln nicht einhielt. Der Soziologe und Risikoforscher Ortwin Renn spricht von einem Neuigkeitsfaktor, der in Deutschland auf ein generelles Nicht-Gewohntsein an Naturkatastrophen trifft. Hinzu käme eine unterbewusste Sehnsucht nach Katastrophen, die der Mensch dann durch bewusstes und schnelles Handeln heldenhaft zu überstehen gedenke, äußerte Renn bereits im Februar 2020, also vor dem Lockdown in Deutschland, gegenüber dem NDR.

Die psychologischen Faktoren unseres Handelns

Umweltpsychologinnen wie Susanne Bolte und ihre Kollegin Isabella Uhl Hädicke beschäftigen sich mit Strategien, wie man Menschen zu umweltfreundlichem Verhalten motivieren kann. Sie sehen auch in der Geschwindigkeit, mit der Katastrophen Fahrt aufnehmen, einen zentralen Faktor. Je höher sie ist, umso schneller macht sich Panik breit – eine Reaktion, die im Falle des Klimawandels eher weniger vorkommt. Wie könnte man dafür sorgen, dass die statistisch weiterhin vorhandene Angst ähnlich viel Engagement hervorruft wie der Corona-Effekt? Die Umweltpsychologin Susanne Bolte hat unsere wichtigsten Fragen zum Thema beantwortet.

Frau Bolte, der allerorts zu beobachtende Corona-Aktivismus soll vor Kontrollverlust schützen. Masken und Desinfektionsmittel kompensieren die Angst vor dem Virus. Wie könnte man es schaffen, dass hinsichtlich der Gefahren durch den Klimawandel auch mehr Aktivismus entsteht?

Susanne Bolte: Die Corona-Pandemie ist momentan sehr präsent, recht plötzlich aufgetreten und für viele Menschen bedrohlich. Der Klimawandel und seine Konsequenzen hingegen entwickeln sich eher langsamer und sind für viele Menschen schwerer greifbar. Auch wenn der Klimawandel in seinem Ausmaß letztlich vermutlich viel bedrohlicher als das Coronavirus für uns alle ist, löst er nicht dieselbe Art von Panikgefühl und Motivation zum Aktivismus in den Menschen aus. Viele Menschen verspüren bei der Klimawandelthematik besonders ein Gefühl der Ohnmacht. Dies ist jedoch hinderlich, um Menschen für aktives, klimafreundliches Handeln zu motivieren. Ein wirksamer Mechanismus, um dies dennoch zu erreichen, könnten politischen Rahmenbedingungen darstellen. Durch diese können soziale Normen geschaffen werden, wodurch folglich die gewünschten (also klimafreundlichen) Verhaltensweisen zunehmend als „normal“ angesehen und eher von der Gesellschaft umgesetzt werden würden.

Angenommen, man könnte jeden Menschen einem kleinen Klimaschock aussetzen, den er unmittelbar spüren kann – würde das helfen?

SB: Der Klimawandel und dessen Konsequenzen sind für viele Menschen sehr abstrakt und erscheinen ihnen sowohl zeitlich als auch räumlich noch weit entfernt. Daher würde man vermuten, dass eine konkrete, spürbare Auswirkung des Klimawandels diesen für die Menschen greifbarer machen und zu mehr klimafreundlichem Verhalten führen würde. Bei der Untersuchung des Klimawandelskeptizismus hat sich jedoch gezeigt, dass Menschen, welche von den Konsequenzen des Klimawandels bereits jetzt schon betroffen sind (wie beispielsweise in Wintersportgebieten), diesen trotzdem oftmals leugnen oder ihm zumindest skeptisch gegenüberstehen. Demnach scheint eine direkte Aussetzung von einem „Klimaschock“ leider nicht zwangsläufig zu klimafreundlichem Verhalten zu führen.

Studien zeigen, dass viele Menschen beim Klimawandel denken, der Einzelne könne nichts bewirken. Warum aber bei Corona nicht? Wo ist die Grenze, ab der ich mich mächtig oder ohnmächtig fühle? 

SB: Die Kommunikation rund um die Corona-Pandemie erklärt den Menschen, dass sie durch geeignete, vorübergehende Maßnahmen die Krise überwinden und wieder zu ihrem normalen Leben zurückkehren können. Dies ist für den Klimawandel leider nicht möglich: Wir können den Klimawandel nicht mehr stoppen, sondern nur versuchen, ihn bestmöglich einzudämmen. Und dies erfordert eben eine dauerhafte Veränderung unseres bisherigen Lebensstils. Vergleichend kann man sagen, dass die Menschen in der Corona-Pandemie vermutlich zumindest in geringer Form Gefühle der Selbstwirksamkeit und Kontrollierbarkeit spüren. Zusammenhalt und gemeinsame Umsetzung der notwendigen Maßnahmen werden auf allen (politischen) Ebenen nahezu indiskutabel eingefordert. Demgegenüber fühlen sich Menschen dem Klimawandel und dessen Unaufhaltsamkeit „ausgeliefert“, ohnmächtig und haben das Gefühl, (alleine) nichts bewirken zu können.

Eine klare Grenze zwischen dem Gefühl der Handlungswirksamkeit und der Ohnmacht kann man also so einfach nicht aufstellen. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel der zugrundeliegenden Bedrohung, deren Kommunikation und möglichen Lösungsstrategien.

Meinungen und Werte prägen unser Verhalten laut Ihren Forschungen viel stärker als rationale Argumente. Wer wäre denn Ihrer Meinung nach am ehesten dafür zuständig, diese bzgl. des Klimawandels langfristig zu ändern? Die Politik samt Schulsystem? NGOs? Die Medien?

SB: Einer der wirksamsten Mechanismen in diesem Zusammenhang sind vor allem politische Rahmenbedingungen. Denn wenn umweltfreundliches Verhalten die Norm darstellt, nehmen es Personen als „normal“ wahr und werden auch eher danach handeln. Daher sehe ich eine Unabdingbarkeit von politischen Rahmenbedingungen im klimabezogenen Kontext, um Menschen hinsichtlich des Klimawandels und dessen Gefahren zu mehr Aktivismus zu motivieren. Meiner Meinung nach bedarf es im klimabezogenen Kontext (weltweit) noch mehr politische Rahmenbedingungen, um die Weichen für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft zu stellen.

Nichtsdestotrotz sollten die Verantwortung und Zuständigkeit der Klimawandelthematik nicht nur auf eine einzelne Instanz „abgewälzt“ werden. Das Ziel sollte vielmehr eine interdisziplinäre Zusammenarbeit auf allen Ebenen im Kampf gegen den Klimawandel sein.

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Umweltpsychologin Susanne Bolte beschäftigt sich mit Strategien, wie man Menschen zu umweltfreundlichem Verhalten motivieren kann.

Es gab eine Studie, bei der das Einzige, was eine Versuchsgruppe wirklich zum Energiesparen animierte, die Information darüber war, wie hoch ihr Stromverbrauch im Vergleich zu den Nachbarn sei. Was für Mechanismen könnte man sich denn ausmalen, damit man das für die Praxis nutzt? Den Stromsparer des Monats – vorgestellt im Gemeindeblatt?

SB: Der Stromsparer des Monats – eine interessante und gar keine so unrealistische Idee (lacht). Es gab verschiedene Wege, wie Personen über den Stromverbrauch ihrer Mitmenschen in den wissenschaftlichen Studien informiert wurden: Sie erhielten beispielsweise pro Woche oder Monat einen Brief mit der Information, ob sie über, unter oder im Durchschnitt mit ihrem eigenen Stromverbrauch liegen. Eine andere Vorgehensweise war das Ampelsystem an den Stromzählern: Jeder Haushalt bekam neben seinem Stromzähler eine kleine Ampel angebracht, welche anzeigte, wie der eigene Stromverbrauch im Vergleich zu den Nachbarn einzuschätzen ist. Letztendlich sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Grundsätzlich gilt jedoch: je einfacher, desto effektiver.

Menschen orientieren sich laut Aussage Ihrer Kollegin Isabella Uhl-Hädicke an der scheinbaren Mehrheit. Wie könnte man diese denn bzgl. der Klimawandelthematik aus psychologischer Sicht am schlauesten herstellen? 

SB: Das stimmt, Menschen orientieren sich besonders an Verhaltensweisen, welche von der Mehrheit ihrer Mitmenschen gezeigt werden, an sogenannten sozialen Normen. Daher stellt sich die Frage, wie man soziale Normen verändern kann, hin zu einem umweltfreundlichen Lebensstil. Dies kann zum einen in der Gesellschaft selbst durch eine Verschiebung der Werte passieren (hin zu biosphärischen, umweltfreundlichen Werten). Dies bedarf jedoch einiges an Zeit. Ein weiterer Mechanismus, welcher schneller und wirkungsvoller ist, sind politische Rahmenbedingungen, deren Wirksamkeit ich bereits erläutert habe.

 Sind Menschen, die glauben, dass Personen wie Donald Trump den Klimawandel zu recht leugnen, einfach nur desinformiert? Oder erkennen Sie da auch psychologische Verhaltensmuster dahinter – den Willen, das auch glauben zu wollen?

SB: Umweltpsychologische Forschungen aus dem angelsächsischen Raum haben bereits gezeigt, dass Klimawandelleugner bzw. -skeptiker vor allem im politischen Mitte-rechts- Spektrum zu finden sind. Hierfür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Einer davon beschäftigt sich besonders mit den Werten: Die Klimawandelkommunikation ist vorwiegend von liberal-links-orientierten Werten durchzogen, wodurch sich Personen aus dem politischen Mitte-rechts-Spektrum nicht angesprochen fühlen und daher nicht so empfänglich für die kommunizierten Informationen zum Klimawandel sind. Wir haben diesen Zusammenhang auch in Österreich untersucht und ähnliche Ergebnisse gefunden. Außerdem zeigte sich in unserer Studie, dass Klimawandelskeptiker zwar angeben, sich über den Klimawandel zu informieren, hierfür jedoch andere Informationsquellen verwenden als Personen, die den Klimawandel nicht leugnen. Klimawandelskeptiker scheinen besonders Informationsquellen wie Social Media (YouTube-Videos, Facebook usw.) zu bevorzugen, wohingegen klimafreundliche Personen ihre Informationen über den Klimawandel hauptsächlich aus objektiven Quellen (z. B. wissenschaftlicher Literatur, Dokumentationen etc.) ziehen.

Frau Bolte, wir danken Ihnen für dieses Interview.

COVID-19 – Generalprobe für die größeren Herausforderungen der Zukunft?

Die Wissenschaft scheint sich also über die Disziplinen hinweg einig zu sein: Der Klimawandel existiert und die schon heute messbaren Veränderungen lassen erahnen, welche dramatischen Auswirkungen er langfristig auf die Erde und damit den Lebensraum von uns Menschen haben wird. Doch die Panik hält sich in der breiten Bevölkerung in Grenzen, weil der Mensch evolutionsbedingt durch akute und damit leicht greifbare Probleme eher alarmiert wird. Ein solches Beispiel war und ist die Corona-Pandemie. Gestern noch genug Klopapier, heute leere Regale. Gestern noch im Büro, heute Homeoffice in der Einraumwohnung: Die Veränderungen kamen schnell und wuchtig, was sowohl das subjektive Leidensempfinden als auch die Motivation zum Handeln – in welcher Form auch immer – massiv intensivierte.

Mit Blick auf den Klimawandel könnte man also etwas provokant resümieren, dass Ereignisse wie die Corona-Pandemie am Ende nur kleine Generalproben für das sind, was die gesamte Weltbevölkerung noch in diesem Jahrhundert bewältigen muss: die Folgen des Klimawandels, welche weit mehr Opfer fordern könnten, als man sich heute vorstellen mag – wo die Regale längst wieder voll sind.