Verbrennung rückwärts

Flugbenzin aus Licht und Luft
5
4 Min.

Text: Birgit Scheuch, 13.04.2021

Alles begann mit einer verrückten Idee an der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule) Zürich. Wie wäre es, wenn sich die Verbrennung von Treibstoffen umkehren ließe? Die Idee funktionierte – zunächst auf dem Papier, dann im Labor und schließlich unter Realbedingungen. Geboren war ein synthetischer Treibstoff, der sich prinzipiell an jedem sonnigen Plätzchen der Welt aus Wasser und CO2 herstellen lässt und jeden beliebigen Brennstoff von Rohöl bis Methanol ersetzt. Und am Ende soll das CO2-neutrale Brennstoffwunder noch günstiger zu haben sein als seine fossilen Vorgänger. Zu schön, um wahr zu sein – oder eine echte Zukunftschance?

Die Idee, den CO2-Ausstoß umzukehren gibt es schon seit den 1980er-Jahren. Nach jahrelanger Forschung gelang es 2014 an der ETH Zürich weltweit erstmals unter Laborbedingungen aus CO2 Kerosin herzustellen. 2016 wurde das ETH-Spin-off Synhelion gegründet, mit dem Ziel, diese Technologie zur Marktreife zu bringen. Und offenbar hält die Züricher Flughafengesellschaft das Verfahren für so vielversprechend, dass sie sich im Mai 2020 verpflichtet hat, die gesamte Produktionsmenge einer geplanten Anlage zum Selbstkostenpreis abzunehmen. Was steckt dahinter?

„Der Flughafen Zürich ist auf uns zugekommen, weil er in unserer Technologie eine vielversprechende Möglichkeit gesehen hat, um seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren“, erklärt der CEO von Synhelion, Dr. Gianluca Ambrosetti.

„Unsere synthetischen Treibstoffe sind mit gängigen Verbrennungsmotoren und Flugzeugturbinen kompatibel. Die bestehende Infrastruktur kann also weiterhin genutzt werden.“ Dr. Gianluca Ambrosetti, CEO von Synhelion

CO2-neutral hergestelltes Flugbenzin sei aktuell die einzige Chance, den Flugverkehr klimafreundlicher fortzuführen, erklärt Carmen Murer, die Kommunikationsverantwortliche von Synhelion. Gegenüber anderen Energieträgern weisen Flüssigtreibstoffe eine extrem hohe Energiedichte auf. Die rund 100 Tonnen Kerosin, die beispielsweise für einen Flug von Deutschland nach Singapur benötigt werden, hat der Flieger an Bord. Ungefähr ein Drittel des Startgewichts, das ist machbar – die Batterie eines vergleichbaren Elektroantriebs wäre beim derzeitigen Entwicklungsstand hingegen so schwer, dass das Flugzeug gar nicht abheben könnte.

Neuer Treibstoff in herkömmlicher Technik

Und es gibt aus der Sicht von Synhelion noch einen gewichtigen Grund für synthetisches Flugbenzin. Dr. Gianluca Ambrosetti: „Unsere synthetischen Treibstoffe sind mit gängigen Verbrennungsmotoren und Flugzeugturbinen kompatibel. Die bestehende Infrastruktur kann also weiterhin genutzt werden.“ Carmen Murer erläutert: „Ein Linienflugzeug ist im Durchschnitt 30 Jahre in Betrieb. Das heißt, auch wenn es jetzt schon die Technologie gäbe, beispielsweise Elektroflugzeuge zu produzieren, würde es immer noch konventionelle Flugzeuge geben, die bis 2050 fliegen. Selbst wenn ab sofort nur noch solche Flugzeuge gebaut und gekauft würden, wären die anderen noch viel zu lange in Betrieb, um den CO2-Ausstoß rechtzeitig zu reduzieren. Und: „Es geht ja nicht nur um die Flugzeuge, sondern auch um die Raffinerien, die Distribution, die Betankungs-Infrastruktur … da steckt ein Riesenapparat dahinter.“

Der entscheidende Dreh

In Bezug auf die Erderwärmung ist bei der Herstellung synthetischer Kraftstoffe natürlich die Verwendung nicht-fossiler Rohstoffe und Energieträger ausschlaggebend. Einfach gesagt, produziert Synhelion Treibstoff aus Sonnenlicht und Luft. Und etwas genauer?

Carmen Murer: „Wenn ein Treibstoff verbrannt wird, entsteht CO2, Wasserdampf und Hitze. Diese Hitze wird dann benutzt, um zum Beispiel ein Auto vorwärts zu treiben. Wir machen diesen Prozess rückgängig, sprich, wir nehmen CO2 und Wasser, erhitzen es mit konzentriertem Sonnenlicht und wandeln es in Synthesegas um. Und das ist wie der Universalschlüssel, aus dem man beliebige Treibstoffe herstellen kann. Wir produzieren dann so etwas wie ein synthetisches Rohöl, aus dem sich Benzin oder auch Kerosin herstellen lässt.“

Die Konzentration von Sonnenlicht ist ebenfalls altbekannt – da wäre der Kindheitstrick mit dem Brennglas, in der nächstgrößeren Variante der Parabolspiegel und schließlich Anlagen wie die des DLR-Instituts für Solarforschung und solare Kraftwerkstechnik in Jülich. Dort lenken 2000 bewegliche Spiegel die einfallenden Sonnenstrahlen auf die Spitze eines 60 Meter hohen Solarturms.

Solarturm am IMDEA Energy Institute, Móstoles, Spanien

Hier erprobt Synhelion etwa seine Technologie in zunehmend größerem Maßstab. „Weltweit gibt es bereits diverse Sonnenwärmekraftwerke, die eine Dampfturbine antreiben und so nachhaltigen Strom produzieren,“ erklärt Carmen Murer. Während eine Turbine schon bei ein paar Hundert Grad heißem Dampf Fahrt aufnimmt, braucht es für die Herstellung von Synthesegas wesentlich höhere Prozesstemperaturen, die bisher nur mit fossiler Energie erreichbar waren. Solche Temperaturen mit Solartechnik hinzubekommen, scheint nun Synhelion mit ihrem neuartigen Verfahren zu gelingen.

250-KW-Sonnenlichtempfänger erreicht Temperaturen über 1500 Grad

„Unsere Technologie befindet sich in der Spitze des Solarturms. Die von Spiegeln eingefangenen Sonnenstrahlen werden in unserem Sonnenlichtempfänger gebündelt. Damit erreichen wir über 1500 Grad Celsius. Das ist absoluter Weltrekord!“, berichtet Carmen Murer. „Die zweite Neuerung ist der thermochemische Reaktor, in dem unter Einwirkung dieser Hitze CO2 und Wasser in Synthesegas umgewandelt werden. Und als dritte Komponente entwickeln wir einen thermischen Speicher, weil die Sonne ja nicht immer scheint. So können wir einen Teil der generierten Hitze speichern und den Reaktor in der Nacht oder bei bewölktem Himmel damit weiterbetreiben.“

2019 konnte die gesamte Prozesskette zum ersten Mal unter realen Betriebsbedingungen auf dem Dach der ETH vollzogen werden. Einen Durchmesser von viereinhalb Metern hatte der verwendete Parabolspiegel, am Ende kamen pro Tag gerade einmal 100  Milliliter Treibstoff heraus.

Geht es eine Nummer größer?

„Unsere solaren Treibstoffe sind klimafreundlich, unsere Technologie ist global skalierbar – theoretisch könnten wir den weltweiten Treibstoffbedarf mit unserer Technologie mehrfach abdecken“, ist sich CEO Ambrosetti sicher. Doch weiß er, wie auch Carmen Murer: „Es ist ein weiter Weg vom Labor bis zur industriellen Umsetzung.“

Bei der geplanten Anlage geht es Synhelion nun darum, zu zeigen, dass die Technologie im industriellen Maßstab funktioniert. Die Jahresproduktion beim Flughafen-Showcase wird ungefähr 10.000 Liter betragen, dürfte also gerade einmal für ein paar Langstreckenflüge reichen. Was macht den Ausbau der verheißungsvollen Technologie so schwierig?

„Zurzeit geht es darum, unser System hochzuskalieren“, erklärt Carmen Murer. Also technische Komponenten, die im kleinen Maßstab bereits funktionieren, schrittweise zu vergrößern. „Es braucht Zeit, diese Prototypen zu entwickeln und sie im Zusammenspiel zu testen.“ Das ist laut Murer schon gelungen, sogar besser als erhofft: „Den Sonnenlichtempfänger haben wir beispielsweise Anfang 2020 bereits in industrieller Größe mit einer Leistung von 250 Kilowatt erfolgreich getestet. Die Anlage auf dem Dach der ETH Zürich arbeitete mit fünf Kilowatt. Dieser Skalierungsschritt zur industriellen Grösse war ein wichtiger Meilenstein.“

Und: „Der Bau solcher Anlagen ist kapitalintensiv, was mit eine der großen Herausforderungen bei der Skalierung darstellt.“, sagt Dr. Ambrosetti. „Anders als bei einer Software-Innovation müssen hier ja große technische Anlagen gebaut werden.“

Günstiger als Kerosin aus Erdöl?

Ob das Synhelion-Produkt Erfolg hat, ist auch eine Preisfrage. „Möglichst nahe am Preis von fossilen Treibstoffen“ heißt daher die Zielvorgabe. Allerdings, sagt der Synhelion-CEO, ist die Preiskonkurrenz hart: „da wir aktuell nicht den realen Preis für fossile Treibstoffe bezahlen – man denke da an den Klimawandel und die Umweltzerstörung durch die Erdölförderung.“ „Ganz zu schweigen“, so Carmen Murer, „von der Steuerbefreiung gerade beim Flugbenzin. Aber das ist die Realität, der wir uns stellen wollen.“ Dr. Ambrosetti ist zuversichtlich: „Wir haben Lösungen gefunden, wie wir die Effizienz steigern und Produktionskosten minimieren können, damit unsere synthetischen Treibstoffe in Zukunft preislich konkurrenzfähig sein werden.“ Und wichtig für Carmen Murer: „Wasserstoff, E-Antriebe, das hat natürlich alles eine Daseinsberechtigung. Wir brauchen ganz, ganz viele Technologien, um diese riesige Aufgabe der Klimaneutralität bewältigen zu können.“

Eine prominente Figur ist jedenfalls vom Potenzial der Synhelion-Technologie vollends überzeugt: Prof. Giorgio Mazzanti engagiert sich bei Synhelion als strategischer Berater. Auf sein Konto geht die Erfindung von Polypropylen, weltweit der zweithäufigste Kunststoff. Was ist seine Motivation, welche Chancen sieht er?

„Die von Synhelion entwickelten Technologien ermöglichen es, mit erneuerbarer Energie – konkret mit Solarwärme – sehr hohe Temperaturen zu erreichen. Daher können sie bei allen Prozessen eingesetzt werden, die Temperaturen in dieser Größenordnung benötigen. Meiner Meinung nach wird das Hauptanwendungsgebiet die Herstellung von flüssigen Kraftstoffen sein, die zur Dekarbonisierung des Automobil- oder Luftverkehrs verwendet werden können. Ein weiteres breites Einsatzgebiet könnte die Herstellung von Zement sein.“

Infokasten

Klimafreundlicher Treibstoff lässt sich auf verschiedene Arten gewinnen. Lang bekannt und angewandt ist die Herstellung von Biodiesel – eine gute Idee, wenn die dafür verwendete Biomasse aus Abfällen besteht. Die Nachfrage nach Biokraftstoffen hat jedoch zur Folge, dass Mais und Ölpalmen für die Erzeugung von Biodiesel und Co. angebaut werden und diese Anbauflächen nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen.

Deshalb liegen große Hoffnungen auf alternativen Technologien zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen. Das Ziel ist dabei grundsätzlich die Herstellung eines hauptsächlich aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff bestehenden Synthesegases, das sich in einem weiteren Schritt zu verschiedenen Kraftstoffen verflüssigen lässt. Entscheidend für die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz ist, wie dieses Gas gewonnen wird.

Den Power-to-Liquid-Ansatz verfolgt beispielsweise das Unternehmen Sunfire  aus Dresden. Das Endprodukt nennt sich E-Fuel, Elektrokraftstoff, und entsteht so: Mithilfe von Solarstrom wird Wasser und CO2 per Co-Elektrolyse zu Synthesegas verarbeitet und anschließend zu Treibstoff.

Synhelion wiederum nutzt die Sonnenhitze selbst für die thermochemische Syngas-Erzeugung, und überspringt damit einen kostenverursachenden Prozessschritt, die Stromerzeugung.

Das benötigte Wasser und CO2 kommt in beiden Fällen idealerweise aus der Luft. An dieser CO2-Abscheidung arbeitet unter anderen ein weiteres ETH-Spinoff, Climeworks. Solange das Verfahren noch in der Entwicklung und damit seine Anwendung zu teuer ist, könnte das CO2 für die Synthese zum Beispiel aus Zementwerken kommen, deren CO2-Fußabdruck bekanntlich riesig ist.