Schäm dich, Nerd!

Warum surfen das Klima genauso belastet, wie fliegen.
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Text: Ekkehard Haug, 14.08.2020

Buzzwords wie Carbon Footprint, Klimaneutralität oder Flugscham sind in aller Munde. Aber wer denkt dabei schon an seine Playlists auf Spotify oder iTunes, seinen Account bei Netflix oder Amazon Prime oder seinen aus den Lagern von Zalando gefüllten Kleiderschrank? Wen von uns plagt ein schlechtes Gewissen, wenn er eine Mail verschickt, an einer Webkonferenz teilnimmt oder Bilder von seinem Hund auf Facebook und Instagram postet? Sonnenallee beleuchtet, warum die Nutzung des Internets genauso zum Klimawandel beiträgt, wie beispielsweise der Flugverkehr – in Zeiten von Corona vielleicht sogar noch mehr.

Mehr Mails, mehr Streaming, mehr Online-Shopping. Die Corona-Pandemie hat Plattformen von „Teams“, „Zoom“, oder „Skype“ über Amazon, Netflix und Spotify, bis hin zu Youtube und Youporn einen wahren Boom beschert. Bedeutet: Mehr Daten, mehr Leistung in den Rechenzentren. Und damit: mehr Strombedarf und mehr CO2-Emissionen. Einerseits. Andererseits aber auch weniger. Weniger Meetings, weniger Reisen, weniger Events. Bedeutet: weniger Straßenverkehr, weniger Züge, weniger Flüge – und damit weniger C02. Egal welche Art von Dreckschleudern – die digitalen oder die analogen – künftig mehr zum Klimawandel beitragen werden, die große Frage ist: Was kann die Menschheit, was kann Politik, was kann Wirtschaft und was kann jeder einzelne von uns dagegen tun?

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ist das Thema CO2-Emissionen zumindest vorübergehend wieder etwas in den Hintergrund getreten. Und die Diskussion darüber, wer denn nun mehr Treibhausgase produziert, das Internet oder der Flugverkehr, scheint müßig. Andererseits wird die Covid19-Krise von vielen – unter anderem der Europäischen Kommission – als Chance propagiert, Zukunftsthemen wie CO2-Neutralität und Digitalisierung schneller und effektiver umzusetzen als bisher geplant.

Auch wenn IT-Unternehmen wie Apple, Google oder Amazon sich gerne als Vorbilder in Sachen Klimaschutz gerieren: Der Stromverbrauch der Internet-Branche ist enorm. Streaming-Dienste, Onlineshops und Mailverkehr sind wahre Energiefresser. Denn Sie erfordern immer mehr und immer größere Rechenzentren. Dazu kommen die Endgeräte, auf denen diese Anwendungen laufen. Es gibt Berechnungen, die davon ausgehen, dass IT-Geräte und Anwendungen im Jahr genauso viel CO2 produzieren wie das Land Deutschland, nämlich ca. 800 Millionen Tonnen. Dabei gehen Energie-Experten wie Staffan Revemann davon aus, dass der weltweite Strombedarf für Rechenzentren 2030 fünfmal so hoch sein wird wie im Jahr 2010.

Schadet das Internet also dem Klima mehr, als der internationale Flugverkehr? In einem Beitrag des MDR vom August 2019 kommt der Nachhaltigkeits-Experte Ralph Hintemann vom Berliner Borderstep-Institut zu der Auffassung, dass beide CO2-Emittenten etwa gleichauf liegen. Betrachte man allerdings die Klimawirkung, bei der auch andere Schadstoffe sowie die Art des Ausstoßes berücksichtigt werden, sei die Klimawirkung des Flugverkehrs etwa doppelt so hoch. Hintemann macht dies an einem konkreten Beispiel fest: „Wenn ich den ganzen Tag Video streamen würde (…), würde ich im ganzen Jahr immer noch weniger CO2 verursachen, als eine Flugreise nach Mallorca.“

Wer denkt an Carbon Footprint oder Klimaneutralität, wenn er über Spotify, Netflix oder Prime Video spricht? Das Thema C02-Emissionen durch Datennutzung bietet definitiv ein großes Potenzial für gute und sparsame Lösungen.

Aber wo genau fallen die CO2-Emissionen bei der Nutzung des Internets an? Der österreichisch „Standard“ stellt dazu in einem Beitrag vom August 2019 fest: „Die Emissionen entstehen vor allem bei der Kühlung der heiß laufenden Server.“ Bereits im Jahr 2012 habe sich der Energiebedarf der weltweiten Rechenzentren auf 30 Milliarden Watt belaufen – dem 30fachen dessen, was ein Atomkraftwerk an Energie erzeuge.

In dem Beitrag werden weitere bemerkenswerte Zahlen genannt:

  • Jede Minute werden auf Youtube 500 Stunden Videomaterial hochgeladen.
  • Täglich werden 205 Milliarden E-Mails verschickt.
  • Ein mittelständischer Betrieb mit 100 Angestellten produziert durch E-Mails 13,6 Tonnen CO2 pro Jahr – entspricht 13 Flügen von Paris nach New York und zurück.
  • Das Streamen von Online-Videos verursacht 300 Millionen Tonnen CO2 (schmutziges Detail: allein das Schauen von Pornos setzt jährlich so viel CO2 frei, wie Belgien in einem Jahr).
  • Wäre der IT-Sektor ein Land, würde er im Energieverbrauch auf Platz drei rangieren – hinter China und den USA.

Die Aufzählung ließe sich mühelos weiterführen. Stellen wir uns stattdessen lieber die Frage, was Unternehmen, Institutionen und Individuen gegen diese Verschmutzung durch Daten tun können.

Die viel gelobte Künstliche Intelligenz könnte dabei helfen. So hat beispielsweise Google ein intelligentes Steuerungssystem entwickelt, mit dem der Energieverbrauch der eigenen Server-Farmen um 40 Prozent reduziert werde. Auch steigt der Anteil an erneuerbaren Energien, den die IT-Riesen nutzen stetig an. Und es gibt erste Projekte, bei denen beispielweise die Abwärme von Rechenzentren in das Fernwärmesystem von Städten eingespeist wird.

Und wir selber, die ganz gewöhnlichen Internet-Nutzer? In einem Beitrag des ZDF vom November 2019 nennt Steffen Holzmann, Green-IT-Experte bei der deutschen Umwelthilfe: „Alte E-Mails löschen. Sich von nicht benötigten Newslettern abmelden. Fotos und Videos statt in der Cloud auf Speichermedien archivieren.

Oder wir könnten uns ganz einfach öfter mal Fragen stellen wie: Leiste ich wirklich einen essentiellen Beitrag zum Fortbestehen der Menschheit, wenn ich meiner Facebook Gemeinde mitteile, dass ich soeben einen Cloud Macchiato in der Geschmacksrichtung Vanilla Bean bei Starbucks erworben habe?

In jedem Fall bietet das Thema C02-Außstoß durch Datennutzung viel Potenzial: Auf der einen Seite für die Beschleunigung des Klimawandels, auf der anderen Seite für Einsparungen. Wir haben es – zumindest teilweise – selbst in der Hand.