Postwachstumsökonomie

Ballast abwerfen statt im Luxus schwelgen
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6 Min.

Text: Mareike Scheffer, 25.09.2020

Niko Paech ist Wirtschaftsprofessor und Wachstumskritiker und fordert seit langem eine radikale Abkehr von unserem Konsum- und Wirtschaftsleben. In Corona-Zeiten ist er als Interviewpartner gefragt. Vielen Menschen wird wohl klarer, dass es in Punkto Wachstum und Konsum nicht so weitergehen kann wie bisher und suchen nach Erklärungen und Alternativen. Wir haben uns die Ansichten von Niko Paech angeschaut.

Für Niko Paech beruht unser Wohlstand auf Ausbeutung: „Weiterhin leisten wir uns den Luxus einer quasi Sklavenhalterwirtschaft, indem Fremdarbeiter aus Rumänien sogar eingeflogen werden“, sagt er kürzlich in einem Interview. Paech polarisiert mit solchen Thesen nicht nur, er trifft in diesen Tagen bei vielen Menschen auch den Nerv der Zeit.

Etwa, wenn er davon spricht, dass der x-te Kreuzfahrturlaub „so notwenig sei wie ein Hirntumor“. Der Ökonom versteht es, eine allgemein verständliche Sprache zu sprechen. Im Kern seiner Kritik stehen Wachstum, Konsum und allen voran Luxus. Doch unser Wirtschaftssystem basiert eben auf dem wachsenden Konsum und auf immer mehr Luxus, wenn man diesen im Sinne von Annehmlichkeiten sieht. Zugleich wird die Notwendigkeit nach effektivem Klimaschutz immer offensichtlicher. Dass Wachstum und Klimaschutz nicht funktioniert, davon ist auch Niko Paech überzeugt. Mit Nachhaltigkeit vereinbar sei nur die Unterlassung von Wachstum und damit auch die Unterlassung von Luxus.

Niko Paechs Denkansatz ist insofern radikal, da er davon ausgeht, dass sich Nachhaltigkeit und Wachstum grundsätzlich ausschließen. Seine „Postwachstumsökonomie“, die er seit 2005 entwickelt hat, kommt ohne Wachstum des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Versorgungsstrukturen bleiben seiner Ansicht nach stabil, wohl aber bei einem vergleichsweise reduzierten Konsumniveau. Der Wirtschafsprofessor, der an der Universität Siegen lehrt, erteilt damit Ansätzen seiner Kollegen eine Absage, die weiteres Wachstum dadurch rechtfertigen, dass eine ökologische „Entkopplung“ kraft technischer Innovationen möglich sei. In seiner Postwachstumsökonomie gibt es daher kein „qualitatives“, „nachhaltiges“, „grünes“, „dematerialisiertes“ oder „decarbonisiertes“ Wachstum.

Ernsthafte politische Maßnahmen scheinen in weiter Ferne

Im Interview mit dem Deutschlandfunk verdeutlichte er diese Problematik am Beispiel der CO2-Bepreisung: „Jede noch so strukturell interessante umweltpolitische Maßnahme kann dadurch verwässert werden, dass der CO2-Preis zu gering oder die Obergrenze zu hoch gesetzt wird. Eine CO2-Steuer beispielsweise, die zu gering ist, wirkt nicht nur nicht, sondern ist sogar schädlich. Die Menschen würden dann weiterhin – weil sie in der Bundesrepublik eine irre Kaufkraft haben – klimaschädliche Aktivitäten durchführen. Sie würden einfach den höheren Preis zahlen und hätten dann noch den beruhigenden Effekt, sagen zu können: Naja, ich habe für die Karibik-Reise die CO2-Steuer gezahlt, also ist damit das Problem gelöst.“

Luxus_Nachhaltigkeit_Nico_Paech© Marcus Sümnick derivative work: Hic et nunc (CC BY 3.0)
Dass Wachstum und Klimaschutz nicht funktioniert, davon ist auch Niko Paech überzeugt.
Luxus_Nachhaltigkeit_Sustainability

Paech verurteilt dabei die Co2-Steuer nicht im Allgemeinen und glaubt, dass es sehr wohl politische Maßnahmen gebe, die wirksam seien. „Wenn etwa die CO2-Steuer wirklich hoch wäre, etwa 200 Euro für eine Tonne CO2, dann wären viele Menschen gar nicht mehr in der Lage, klimaschädigende Aktivitäten auszuführen.“ Das Problem dabei: Einen politischen Konsens für eine solch radikale Maßnahme werde es nicht geben. Das sei die Quadratur des Kreises.

Niko Paech sucht – dennoch oder gerade deswegen – den konstruktiven Austausch mit Menschen aus dem Wirtschaftsleben und der Politik. Gemeinsam mit seinem Kollegen Werner Onken, der an der Frage arbeitete, wie eine „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ möglich sein könnte, hat er ab 2008 eine Ringvorlesung ins Leben gerufen. Sein Ziel: Die verschiedenen Perspektiven aus der Postwachstumsdebatte in einen konstruktiven Austausch zu bringen – eben auch mit Menschen aus dem öffentlichen Leben. Neben theoretischen Vorträgen kamen somit auch Praktiker, Unternehmer, Künstler und Politiker zu Wort.

Für mehr Klimaschutz ist gleich gegen mehr Wachstum

Gleichermaßen kritisiert Niko Paech sowohl ruinöse Konsum- und Mobilitätspraktiken als auch die Politik, wenn er sagt, dass man nicht nur für Klimaschutzsein könnte, sondern man gleichzeitig gegenwirtschaftliches Wachstum vorgehen müsste. „Man kann nicht auf der einen Seite – wie in Deutschland – jedes Jahr einen neuen Rekord erreichen wollen für alles, was die Digitalisierung fördert. Man kann nicht immer neue Baugebiete ausweisen, neue Flughäfen in Betrieb nehmen, neue Straßen bauen, den Konsum in allen Nischen steigern. Und dann gleichzeitig Klimaschutz wollen“, sagte er im vergangenen September im Interview mit dem Deutschlandfunk. Niko Paech fordert daher, dass wir „unseren Lebensstil ändern“ und „liebgewonnene materialisierte Freiheiten“ in Frage stellen. „Früher oder später wird die Angst um die Überlebensfähigkeit unserer Zivilisation größer sein als die Angst vor dem Wohlstandsverlust, der sich zudem begrenzen und ertragen ließe.“

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