„We learn by doing“

Vorreiter in nachhaltiger Architektur
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Text: Ekkehard Haug, 16.03.2021

Losgelöst von äußeren Einflüssen wie der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Abschwächung boomt die Baubranche weiter. Gerade bei Immobilien spielt Einsatz und Verbrauch von Energie beim Bau und Betrieb des Gebäudes eine wichtige Rolle für die Umsetzung der Energiewende. Im Interview mit dem Architekten Günter Schleiff und dem Sustainability Manager der SMA Matthias Schaepers.

Hinter dem Begriff nachhaltige Architektur steckt weit mehr als nur Energieausweis, LED Lampen oder Fassadendämmung. Sonnenallee sprach mit zwei Experten darüber, welchen Einfluss die wachsende Bedeutung nachhaltigen Bauens auf Architekten und Bauherren hat. Was genau nachhaltige Architektur auszeichnet und welchen Stellenwert sie innerhalb der Baubranche und beim Endkunden einnimmt, verrät uns der Architekt Günter Schleiff und Matthias Schaepers, Sustainability Manager bei der SMA Solar Technology AG.

„Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit lassen sich schon heute verbinden.“

Günter Schleiff, Dipl.-Ing. Architekt BDA und Mitgründer von Hegger Hegger Schleiff Architekten. Das Architekturbüro ist besonders bekannt für eine nachhaltige, energieeffiziente Bauweise. Gemeinsam mit der SMA Solar Technology und Matthias Schaepers haben beide federführend den in Sachen Nachhaltigkeit wegweisenden Bau der SMA Solar Academy in Niestal realisiert.

Sonnenallee: Wie würden Sie Ihr Verständnis von nachhaltiger Architektur interessierten Bauherren erklären, wenn Sie nur eine Minute Zeit dafür hätten? 

Günter Schleiff: Gebäude sind wesentliche Elemente der globalen Kreislaufwirtschaft. Ihre technologisch überkommene Erzeugung und ihr Betrieb machen einen erheblichen Anteil am Gesamtenergieverbrauch und damit an der klimaschädlichen Produktion von CO2 aus. Als Bauherr übernimmt man daher Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft über die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes. Nur mit einer ganzheitlichen Betrachtung der Bauaufgabe, die Aspekte von Dauerhaftigkeit – auch im ästhetischen Sinn-, Nutzungsvariabilität, Energieverbrauch bei der Erzeugung und dem Betrieb bis hin zu seiner Recyclingfähigkeit im Blick behält, wird man dieser Verantwortung gerecht. Die Kenntnisse und Techniken dazu sind vorhanden.

Welchen Stellenwert hat nachhaltige Architektur aktuell aus Ihrer Sicht – in der Gesellschaft, in der Baubranche und bei privaten und gewerblichen Bauherren?

GS: Festzustellen ist, dass ein immer größerer Teil der Bauherren mit neuen Ideen und Technologien vorausgeht und diese in der Breite Anwendung finden, sobald wirtschaftliche Aspekte nicht im Wege stehen. Dieser Punkt wird jedoch nur durch die Vorarbeit und dem Pioniergeist einiger erreicht (Auch in der Historie von SMA ist diese Entwicklung ablesbar).

Je weiter sich eine Idee oder ein Produkt verbreitet, desto günstiger wird die Anwendung. Der Architekt Theodore P. Wright beschrieb dies sehr passend: „we learn by doing.“ Er implizierte hiermit, dass die Kosten bei jeder weiteren Anwendung bzw. jedem weiteren produzierten Produkts sinken und dies exponentiell.

In vielen Bereichen lässt sich bereits heute Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit verbinden. In anderen ist noch viel Pioniergeist erforderlich – dazu ermutigen wir unsere Kunden.

Günter Schleiff: „Eine energetische Sanierung sollte kein Selbstzweck sein.“ Links: Die Fassade des Aktiv-Stadthaus in Frankfurt am Main

Welche Unterschiede bestehen zwischen nachhaltiger Bestandssanierung und nachhaltigem Neubau? 

GS: Im Wesentlichen ist Deutschland ein Bausanierungsland. Der Anteil an Neubauten ist sehr gering. Ein Großteil des Gebäudebestands wurde nach dem zweiten Weltkrieg errichtet und weist nach heutigen Standards, schlechte Energiekennwerte auf. Die nachhaltigste Lösung ist, diese Bestände zu erhalten und auf das Niveau eines Neubaus zu heben. Eine energetische Sanierung sollte hierbei kein Selbstzweck sein. Der differenzierte Umgang und die Anpassung an heutige Anforderungen was zum Beispiel Grundrissgestaltung, Komfort, Behaglichkeit oder Schallschutz angeht, muss immer mit betrachtet werden. Schließlich sollen solche Maßnahmen die Umgebung für den Menschen verbessern und ein Gebäude entstehen, das für die Zukunft gerüstet ist. Die Zielformulierung eines klimaneutralen Gebäudebestands bis zum Jahr 2050 haben wir hierbei immer klar im Blick.

Der Unterschied zu einem Neubau ist, dass die im Bestand bereits enthaltenen Baustoffe nicht erneut erzeugt werden müssen und die CO2-Emissionen dadurch entsprechend geringer sind. Gerade in der tragenden Struktur (Stichwort Beton) ist CO2 gebunden wie in einem Baum. Im Neubau haben wir hingegen größere Freiheitsgrade bei der Entwicklung von Konzepten, die in der Errichtungs- wie in der Betriebsphase wenig Energie- und Kapitaleinsatz erfordern und entsprechend langfristig nachhaltig sind.

Wie schaffen Sie es, Nachhaltigkeit und kreatives Gebäude-Design in Einklang zu bringen? 

GS: Nachhaltigkeit und Kreativität können mit dem Ansatz des „First Principle Thinkings“ vereint werden. Das Hinterfragen des Status quo, bekannter Lösungsansätze und Herangehensweisen schafft den nötigen Freiraum, um Kreativität und neue Lösungen für unsere Projekte zu finden. Innerhalb bestimmter Leitplanken werden die Anforderungen des Kunden an ein Gebäude dargestellt. Darin können wir uns frei und kreativ bewegen, um die bestmögliche Lösung fern modischer Attitüden für einen spezifischen Ort zu finden.

Welche Chancen und welche Hürden sehen Sie für eine flächendeckende und damit breitenwirksame Umsetzung nachhaltiger Architektur?  

GS: Die Sichtweise von Bauherren ist zu sehr auf die nahe Zukunft gerichtet. Viele Entscheidungen werden aufgrund von Kosten in der Entstehungsphase getroffen. Seit Jahrzehnten gewählte Bauweisen und Baustoffe werden nicht hinterfragt. Neue Baustoffe und Technologien setzen sich auch aufgrund einer Vielzahl an Regulierungen nur schwer durch. Es wäre zu wünschen, dass sich der Blick auf die Lebensphase eines Bauwerks richtet. Bei den meisten Gebäudetypen entstehen in dieser Phase höhere Kosten als für die eigentliche Errichtung. Nur mit einem Wechsel der Betrachtungsweise können kommen wir dem Ziel einer nachhaltigen Architektur näher.

Abschließend noch eine Frage in eigener Sache: Ihr Büro hat die SMA Solar Academy in Niestetal geplant und realisiert. Was waren Besonderheiten bei diesem Projekt? 

GS: Das Besondere war vor allem der Bauherr! Das Gebäude ist ja die architektonische Umsetzung des Produktbereiches Sunny Island, die Elektrifizierung netzferner Standorte weltweit. Insofern war es eine konsequente Idee, diesen entwicklungspolitischen Ansatz technologisch und architektonisch in einem Gebäude zu manifestieren. Die besondere Lage des Gebäudes in der Hochwasserflutmulde der Fulda mit dem Zwang, das Gebäude auf Stelzen errichten zu müssen, verleiht dem Gebäude ja diese mobile Wirkung. Es scheint sich jederzeit in Bewegung setzen zu können, um irgendwo in der Welt zu landen und Energie zu produzieren. Das Gebäude ist der Botschafter dieser Idee. Es konnte nur vor diesem Hintergrund mit diesem Bauherrn an dieser Stelle entstehen.

Vielen Dank für das informative Gespräch.

Energiebunker: Der Flakbunker in Hamburg wurde 2012 saniert und zur Energiezentrale für die dezentrale Wärme- und Stromversorgung des benachbarten Wohnquartiers.

„Zum Leuchtturmprojekt wird ein nachhaltiges Gebäude erst, wenn es von den Nutzern auch angenommen wird.“

Matthias Schaepers ist Global Sustainability Manager bei SMA. Wir sprachen mit ihm über die Auswirkungen energieeffizienten Bauens auf Unternehmen.

Herr Schaepers, welche Punkte in Bezug auf Nachhaltigkeit waren für Sie bei der Konzeption der SMA Solar Academy wichtig?

Matthias Schaepers: Zu allererst ging es bei der Konzeption darum, aufzuzeigen, dass auch in unseren Breitengraden eine stromnetzunabhängige Versorgung mit erneuerbaren Energien möglich ist. Das geht nicht nur in sonnenreichen Regionen. Das wesentliche dabei, die Funktion des Gebäudes wie auch der Komfort sollten dabei nicht eingeschränkt werden. Wir wollten damit darstellen, dass eine ressourcenschonende Gebäudeenergieversorgung keinerlei Auswirkungen auf die Nutzung des Gebäudes hat. Und das hat definitiv funktioniert. Der Fokus lag damit zum einen auf einer Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien, aber auch auf den zum damaligen Zeitpunkt effizientesten Energieversorgungssystemen und Gebäudestandards.

Haben sich Ihre Erwartung heute, nach mehreren Jahren Betrieb des Gebäudes erfüllt – vielleicht sogar übertroffen?

MS: Die Erwartungen haben sich ganz eindeutig erfüllt. Es ist ein echtes Leuchtturmprojekt geworden, das sich komplett mit erneuerbaren Energien versorgt und über das Jahr gesehen, mehr PV Energie erzeugt, als es verbraucht. Natürlich musste sich in der ersten Nutzungszeit zeigen, ob die Annahmen in der Planung mit der Realität übereinstimmen. Aber diese Phase hatten wir mit eingeplant.

Was würden Sie aus heutiger Sicht und mit den heutigen Möglichkeiten anders machen?

MS: Es war damals ein mutiger Schritt, einige Prototypen in ein vollständig genutztes Gebäude zu integrieren. Damit war die Phase der Einnivellierung der Gebäudehaustechnik sicherlich aufwendiger als in Standardgebäuden. Aber das Ziel war ja auch, einen großen Schritt voran zu gehen und Neuland zu betreten. Heutzutage hat sich diese Technik so extrem weiterentwickelt, dass hier Pionierleistungen nicht mehr nötig sind. Damals war es aber ein wichtiger und richtiger Schritt.

Links die SMA Solar Academy mit gebäudeintegrierten Photovoltaikelementen. Matthias Schaepers: „Unsere Erwartungen haben sich ganz eindeutig erfüllt.“

Welche Ratschläge würden Sie einem befreundeten Architekten, der ein ähnliches Projekt plant, mit auf den Weg geben?

MS: Egal welche Besonderheiten und technischen Raffinessen das Gebäude leisten soll, ein wirkliches Leuchtturmprojekt wird es erst, wenn es von den Nutzern auch angenommen wird. Der Mensch muss immer im Fokus der Planung stehen, sonst verfehlt das technische Highlight seine grundsätzliche Aufgabe. Wichtig für die Planung eines neuartigen Konzeptes ist es zudem, eine Priorisierung der Ziele mit dem Bauherrn zu formulieren. Der Architekt als Generalist hat es damit einfacher, im Planungs- und Ausführungsprozess mit allen Beteiligten Fachplanern den roten Faden beizubehalten. Hierfür hatten wir damals eine Art „Drehbuch“ geschrieben. Denn ein wesentliches Ziel war es, das besondere Energiekonzept auch erlebbar zu machen. Im Grunde soll das Konzept ja auch andere Unternehmen ermutigen, diesem Beispiel zu folgen.

Mit welchen Argumenten ganz allgemein würden Sie einen Unternehmer davon überzeugen, nachhaltig zu bauen?

MS: Als Verantwortlicher für Nachhaltigkeit in einem Unternehmen, das an der Gestaltung einer nachhaltigen Energieversorgung beteiligt ist, fallen mir hier eine Fülle von Argumenten ein.

Wichtigstes Argument: Wollen wir die Chance zur Erreichung der Klimaziele nutzen, müssen alle Neu- und Umbauten im Grunde zu 100% mit erneuerbaren Energien versorgt sein, möglichst aus wiederverwendbaren oder recyclefähigen Materialien bestehen und in seiner Nutzung flexibel gestaltbar sein. Denn auf der Gebäudebestandsseite haben wir genügend Herausforderungen, um auch nur ansatzweise die Klimaziele zu erreichen.

Gebäude haben im speziellen immer Auswirkungen auf die Umgebung und insgesamt auf die Gesellschaft. Zudem werden Gebäude über Generationen hinaus genutzt, somit bekommt der Begriff Generationengerechtigkeit hier auch eine ganz besondere Bedeutung. Daher übernimmt hier nicht nur der Architekt eine besondere Verantwortung, sondern gerade auch die Unternehmen. Unternehmerisches Handeln hat Auswirkungen auf die Gesellschaft. Manchmal positive, oft aber eben auch negative. Mit nachhaltigen Bauten wird das Unternehmen dieser Verantwortung gerecht.

Eine nachhaltige Bauweise zahlt sich für den Unternehmer aber immer aus, denn sie beachtet neben ökologischen und sozial gesellschaftlichen Faktoren auch den ökonomischen Aspekt. Somit spart ein Unternehmen Kosten, wenn der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet wird. Denn gerade in der Nutzungsphase entfalten sich die Vorteile einer nachhaltigen und flexibel nutzbaren Bauweise.

Vielen Dank für das angenehme Gespräch.

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