Der Quantenphilosoph

„Wir brauchen nicht nur Rationalität und Logik, sondern auch soziale und emotionale Intelligenz.“
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Text: Mareike Scheffer, 02.02.2021

Anders Indset ist Unternehmer, Publizist und ist vor allem als Wirtschaftsphilosoph gefragt. Der gebürtige Norweger berät zudem internationale Führungskräfte. In seinem aktuellen Buch „Quantenwirtschaft – Was kommt nach der Digitalisierung“ malt er das Bild von einer Ökonomie der Zukunft, die ein „neues Betriebssystem für eine menschengerechte Welt“ sein soll. Die Corona-Pandemie inspirierte ihn zum Titel „Das infizierte Denken“ – ein Buch, an dem er aktuell arbeitet. Wie unkonventionell der 41-jährige denkt, der in den Medien als „Rock-‘n-Roll-Plato“ bezeichnet wird, zeigt sich nicht nur in seinen Thesen, sondern auch im Gespräch mit Sonnenallee. Er bevorzugt grundsätzlich in der Anrede das „Du“.

Sonnenallee: Eine deiner Thesen ist, dass sich die Menschen in unserer digitalisierten Welt selbst zum homo obsoletus machen. Wie kommst du auf diesen Gedanken, dass sich die Menschen selbst abschaffen?

Anders Indset: Viele Menschen denken selbst nicht mehr. Sie sind getrieben und gesteuert von Impulsen. Sie fühlen sich überfordert mit der Masse an Informationen, lassen die Suchmaschinen im Netz die Vorauswahl treffen und sind so gesteuert von Empfehlungsalgorithmen und werde so zu Gefangenen in ihrer eigenen Freiheit. Sie haben das Gefühl, immer liefern, immer performen zu müssen. So werden wir Sklaven unserer eigenen Freiheit: Die moderne Sklaverei ist die Selbstausbeutung. Was den Menschen aber zunehmend fehlt, sind eigene Impulse, eigenes Denken, eine eigene positive Leitidee.

Deine Forderung ist daher: Entschleunigung. Glaubst du, dass die aktuelle Pandemie dieser Entschleunigung beiträgt?

AI: Das sehe ich derzeit nicht. Ich halte die aktuelle Corona-Pandemie für nicht relevant für den Wandel als solches. Möglicherweise hat sie aber das Potenzial, die unterliegenden Wirkkräfte des Wandels zu beschleunigen. Ich habe derzeit den Eindruck, dass Dinge, die zuvor zehn Jahre dauerten, nun in zehn Monaten möglich sind. Ich sehe daher eher eine Beschleunigung statt Entschleunigung. Für einen wirklichen Umbruch sorgen aber nur echte Krisen.

Du bewertest die aktuelle Situation nicht als echte Krise?

AI: Für eine Dekadenzgesellschaft mag es eine Krise sein. In meinen Augen ist das keine echte Krise. Echte Krisen sind existentiell bedrohlich. Natürlich leben wir aktuell in einer schwierigen Situation und die Menschen haben große Ängste. Eine echte Krise sieht in meinen Augen aber eben ganz anders aus. Dazu braucht es mehr Schmerz. Das ist eine Situation, wie sie etwa nach dem zweiten Weltkrieg in Europa herrschte.

Was ist deiner Meinung nach derzeit dann das größere Problem?

AI: Das Problem ist weniger, dass uns Corona infiziert. Es ist vielmehr ein Problem, dass unser Denken schon vor Corona infiziert war. Wir reagieren nur noch oberflächlich auf Tweets und Headlines. Wir treffen auf Absolutheiten, auf Muster der Weltanschauung, die wir aber gar nicht mehr verstehen. Aber gerade, wenn Chaos herrscht, suchen Menschen nach einfachen Lösungen, suchen nach stabilen Strukturen. Das führt zu Reaktionismus. Wir müssen aber unsere alten Selbstverständlichkeiten infrage stellen, um zu einer Weltverständlichkeit zu kommen, eine komplexe Welt zu verstehen, indem wir lernen die Interdependenzen zu begreifen.

Wie soll das möglich sein? Wo würdest du konkret ansetzen?

AI: Die Sozialen Medien belohnen, gegen etwas zu sein, die Negativität. Dabei bräuchten wir vielmehr neue Impulse, Idee und Lösungsansätze. Ich sehe nicht, dass das Problem von politischer Seite gelöst werden kann. In der Politik geht es vor allem um Bewahren und Verwalten und weniger um Gestalten. Unser Denken muss geheilt werden. Das kann nur in der Bildung ansetzen. Wir lernen für eine endliche Prüfung, für eine gute Note. Dieses Denken ist absolut veraltet. Was etwa unsere rechnerischen Fähigkeiten betrifft, sind wir der Technologie heute schon völlig unterlegen. Wir müssen daher an die Leerräume denken, die die so genannte künstliche Intelligenz nicht füllen kann. Wir müssen den jungen Menschen vielmehr die Fähigkeit zum Lernen und zum selbstständigen Denken vermitteln. Es geht heute um das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine und die Zukunft des organisierten menschlichen Lebens. Wir brauchen heute und zukünftig Handlungshelden, die gestalten können. Menschen, die Menschen verstehen. Das ist quasi praktische Philosophie.

„Wir vernachlässigen die Philosophie, die Psychologie und die Kunst.“

Die Arbeitswelt befindet sich mitten in einer digitalen Transformation. Was ist deiner Meinung nach dafür elementar wichtig und wie ist der von dir geprägte Begriff Quantenwirtschaft vor diesem Hintergrund einzuordnen?

AI: Erstmal braucht es eine digitale Aufklärung, damit daraus eine Renaissance entstehen kann. In unserem Wirtschaftsdenken vernachlässigen wir Disziplinen wie die Philosophie, die Psychologie und die Kunst. Manche behaupten sogar, die Philosophie sei eine Disziplin von gestern, die auf die Fragen von heute keine Antworten mehr geben könne. Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Die Quantenwirtschaft und eine Gesellschaft des Verstands können wir nur ganzheitlich gestalten – und dafür brauchen wir nicht nur Rationalität und Logik, sondern auch soziale und emotionale Intelligenz. Nicht nur IQ, sondern auch „WeQ“. Humanismus und Menschlichkeit dürfen in einer neu gedachten Wirtschaft nicht auf der Strecke bleiben.

Welche Rolle spielen Erneuerbare Energien in der Quantenwirtschaft?

AI: Wir werden das Rad nicht zurückdrehen, Energie ist wichtiger denn je im digitalen Zeitalter. Was uns aber absolut nicht weiterhilft ist eine Öko-Hysterie. Ich spreche daher immer von einer Öko-Utopie als positiver Leitidee. Wir werden in eine neue Wirtschaft sicher nicht aufhören zu fliegen, aber wir können das klimafreundlich tun. Wir dürfen nicht an alten Technologien festhalten. Der Ökologische Kollaps kann nur durch Investition in neue Technologien gelingen. Das Verständnis dafür kommt mit in der öffentlichen Diskussion oft zu kurz.

Anders Indset über seine Quantenwirtschaft:

Die Quantenwirtschaft wird unsere Gesellschaft zum Wohl der Menschen verändern. Die Q-Economy wird nicht nur unsere materiellen Bedürfnisse befriedigen, sondern uns ermöglichen, unsere Talente zu entwickeln und unsere Träume auszuleben. Die Ökonomie der Zukunft wird alle fundamentalen Bereiche der Gesellschaft regeln: unsere materiellen Bedürfnisse, unsere sozialen Beziehungen, virtuelle ebenso wie reale, unsere Verwaltung, Bildung und Kultur, unsere geistige Entwicklung und Selbstverwirklichung.

In deinem Buch sprichst du davon, dass es Handlungshelden braucht. Was gibst du Führungskräften auf deinen Seminaren derzeit mit auf den Weg, damit sie zu Handlungshelden werden?

AI: Für Führungskräfte wird in diesen Zeiten klarer denn je, dass es nicht um Management sondern um Leadership geht. Meine Botschaft ist: Du entscheidest, wie du mit deinen Gedanken und deinen Handlungen umgehst, wie sie dich und andere beeinflussen sollen. Gehe als Vorbild und Gestalter voran, respektiere Menschen in deiner Umgebung, finde deinen eigenen Stil und mache deutlich, wofür du stehst und was du liebst. Werde zu einem Gestalter des Wandels – auch wenn es nur deine eigene Realität ist.

Hast du deine Leitsätze auch auf dich selbst angewendet? Welche wichtigen Entscheidungen hast du in deinem Leben getroffen? Gab es eine die hervorsticht?

AI: Bei mir war das eher ein schleichender Wandel vom Turbokapitalist, der die Höhen und Tiefen des Unternehmertums kennengelernt hat, zu dem, was mich heute ausmacht. Mehr Geld zu verdienen, hat mir allein nichts mehr gegeben. Es ist ein Prozess, zu lernen loszulassen und zu definieren, was für einen persönlich richtig und wichtig ist. Heute ist es für mich Genuss und Privileg, jeden Tag aufzustehen und das tun zu können, was mich erfüllt.

Wie hast du dieses Jahr 2020 ganz persönlich erlebt?

AI: Ich habe deutlich weniger Vorträge halten können, habe weniger Auftritte gehabt. Insbesondere die Nähe zu Menschen, die fehlt mir. Aber ich bin in durchaus in einer privilegierten Situation und konnte diese Zeit genießen und auch nutzen, um mich weiterzuentwickeln. Ich habe viel gelesen und mache diesen Input nun zu einem Output. Ich habe begonnen, mein neues Buch „Das infizierte Denken“ zu schreiben.

Dann werden wir also bald ein neues Buch lesen vom „Rock-‘n-Roll-Plato“? Wie stehst du diesem Begriff gegenüber?

AI: Die Medien formen diese Begriffe. Ich habe Verständnis dafür und nehme sie zur Kenntnis. Für meine Inhalte sind sie aber nicht relevant.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke.

Vita

Anders Indset , geboren 1978 in Trondheim, ist einer der weltweit führenden Wirtschaftsphilosophen und ein vertrauter Sparringspartner für internationale CEOs und politische Führungskräfte.

Der gebürtige Norweger, mit Sitz in Frankfurt, ist Gastdozent an führenden internationalen Business Schools und ist bekannt für seine unkonventionelle Denkweise. Thinkers50, das führende Ranking der globalen Management-Vordenker, hat ihn jüngst als einen der 30 globalen Vordenker aufgenommen, die “die Zukunft der Unternehmensführung nachhaltig gestalten und verändern werden“.

1998 kam Indset nach Deutschland, um die deutsche Sprache zu lernen und die Deutsche Philosophie in ihrer Muttersprache zu studieren. Nach einer Karriere als Leistungssportler startete er zudem seine unternehmerische Laufbahn. Er ist Founding Partner des Global Institute of Leadership and Technology und Advisory Board Member von Terra Quantum, einem Schweizer Pionier in der Quantentechnologie.

Sein letztes Buch “Quantenwirtschaft – Was kommt nach der Digitalisierung?” ist in kürzester Zeit auf der Spiegel-Bestsellerliste eingestiegen und belegte Platz #1 im Manager Magazin und Handelsblatt als das meistverkaufte Wirtschaftsbuch in Deutschland.

Für das Handelsblatt verfasst Indset seit 2018 eine monatliche Kolumne.

Indset hat die Bücher Wildes Wissen (2017) und Quantenwirtschaft (2019) veröffentlicht. Derzeit arbeitet er an seinem dritten Buch.