Ein neuer Blick auf die Solarenergie

im Interview mit Solar-Designerin Marjan van Aubel
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Text: Samime Kutlu, 07.05.2021

Wenn es um Solarenergie geht, denken die meisten von uns vermutlich erstmal an Photovoltaikanlagen. Aber so facettenreich wie Solartechnologie ist, so sind auch ihre Anwendungsgebiete und -beispiele. Marjan van Aubel demonstriert dies gekonnt in ihren Solar-Designs. Und dabei möchte Sie nicht mehr und nicht weniger die gesamte Betrachtung der Solarenergie verändern. SONNENALLEE hat mit der Solar-Designerin Marjan van Aubel gesprochen – über Ästhetik, Nachhaltigkeit und den Traum eine ganze Stadt zu gestalten.

„Was für eine Zukunft werden wir als Designer kreieren?“, erwidert Marjan van Aubel enthusiastisch auf die Frage, was Solar-Design denn konkret sei. Es geht um die Gestaltung der Zukunft mithilfe von erneuerbarer Energie, ergänzt sie knapp. Wie ihr Designprozess ablaufe, frage ich sie daraufhin.

„Alles beginnt mit einer Frage, und auf dem Weg zur Antwort bildet sich das Ziel allmählich ab. Aber auch hier muss man flexibel bleiben, weil man hin und wieder die passende Antwort ganz woanders findet.“ Van Aubel sitzt in einem großen minimalistischen Raum mit einer extrem hohen Decke. Dieses Dach hätte sicherlich genug Platz für eine Photovoltaikanlage, denk ich mir. Wir diskutieren kurz über diese Solarpaneele und sind uns schnell einig, dass nichts an ihnen sich auch nur annährend mit dem Verständnis für Ästhetik deckt. So sehen klassische Photovoltaikanlagen eben aus. Was macht also eine Solar-Designerin aus solchen unästhetischen Elektro-Platten? „Als Designerin erkannte ich wie integriert Solartechnologie bereits ist, aber ich dachte, ständig daran, dass es einer Verbesserung bedarf. Verschiedene Technologien, die aus Deutschland oder der Schweiz stammten, inspirierten mich. Ich hatte schon früher blaue Paneele gesehen, dachte mir dabei, dass es viel Raum gibt, diese designtechnisch zu verbessern. Ich wollte all diese Optionen gründlich ausloten durch Design. Und damit das Narrativ von Solar-Energie verändern.”


Wie sieht Solar-Design aus?

Solarenergie scheint bisher der beste Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel zu sein, darum ist es essenziell diese in einem neuen Licht zu betrachten. Schließlich ist Solarenergie mehr als exakte geometrische Platten, die auf Häuserdächer oder Straßenlaternen prangen. Um dieses Narrativ zu verändern, kreiert van Aubel erstaunliche Solarstrom-Konzepte, die für Innenräume konzipiert wurden. Alles fing am Royal College of London an. Hier studierte sie Design. In ihrem Abschlussprojekt integrierte sie zum ersten Mal Solartechnologie mit Design. Angetrieben wird sie dabei nicht nur von der Faszination der Photonen und deren Energieumwandlung, sondern vor allem von den sozialen Möglichkeiten, die diese bietet. Sie spricht dabei von einer „Solar-Demokratie“ und ergänzt schnell: „Aber nicht im politischen Sinne. Die Sonne selbst ist sehr demokratisch, denn sie ist meistens immer da und vor allem für jeden zugänglich. Dieser Anreiz inspirierte mich dazu, Solarenergie dort zugänglich zu machen, wo jeder auch Zugang hat, beziehungsweise wo sie direkt gebraucht wird.“

Der Solar-Designerin ist es dabei wichtig, die Energie der Sonne entsprechend nutzen zu können. Mit ihren Kreationen wie dem Current Table und dem Current Window zeigt sie, wie es möglich ist, in Wohnräumen ohne Photovoltaikanlagen, dennoch Solarstrom erzeugen und nutzen zu können. Ein weiteres Modell, das sie für den Innenbereich konzipiert hat, ist die Lampe Sunne, die allein durch Solarenergie betrieben wird. Das Besondere an dem Modell ist, dass es die Lichtverhältnisse eines Sonnenauf- und untergangs imitiert. So entsteht nicht nur klimanfreudliches Licht, sondern auch eine neue intuitive Wahrnehmung von Solartechnologie.

„Solartechnologie muss als Ganzes betrachtet werden.“

Die größte Schwierigkeit, der Marjan van Aubel bei der Kreation stets begegnen muss, ist, das Neue auch umsetzen zu können. Denn die Solarbranche ist vor allem auf große Industrien spezialisiert. Das heißt, die Entwicklung für kleinere Projekte, um etwas neues aus Solarenergie zu kreieren, muss in kleinen Schritten erfolgen. Das geschieht mit Prototypen. „Man beginnt mit etwas, das eigentlich für die Massenproduktion ausgelegt ist, und versucht es für ein neues Konzept umzukonstruieren. Das ist manchmal schwierig.“

Dabei hat die ambitionierte Designerin zwar eine gewisse gestalterische Freiheit, aber je nach Produzenten kann sie dieser nur bedingt Ausdruck verleihen. Sie kann meistens die Paneele und die gedruckten Solarzellen designen, aber auch hier ist die Kreativität aktuell noch an die Technologie gebunden. Davon lässt sie sich allerdings nicht bremsen.

„Wir reden nicht über Solar-Technologie, sondern wir reden über Solar-Design und Solar-Architektur.“

Es gibt natürlich neben Solar-Energie noch andere erneuerbare Energien. Aber für Marjan van Aubel besticht Solarenergie durch ihre Verbindung zum Menschen und ihre Nahbarkeit. Insbesondere aber durch, „die Chemie, die in diesen Materialien arbeitet und Photonen in Elektronen umwandelt – das alles bloß auf der Oberfläche der Materialien. Das ist wunderschön.“

Aktuell arbeitet die Designerin mit OPV (Organic Photovoltaic). Das sind organische Solarzellen, die aus einer Kohlenwasserstoffverbindung bestehen und mit einer speziellen Elektronenstruktur, dem π-Elektronensystem, ausgestattet sind, wodurch sie zu amorphen Halbleitern werden. Mithilfe dieser Technologie arbeitet die Designerin aktuell mit Produzenten, die gedruckte Solarzellen, welche eine monokristalline Struktur haben und semitransparent sind, zusammen. Diese können einfach auf Gebäude angebracht werden und es mit Strom versorgen.

Eine weitere Kreation von van Aubel ist die Power Plant. Es handelt sich hierbei um ein autarkes Gewächshaus, das durch Verdunstung und mithilfe von Solarzellen einen eignen Versorgungs-Kreislauf bildet. Die Pflanzen werden durch die eingebauten LEDs mit verschiedenen Spektren von Licht bestrahlt, wodurch ihr Wachstum angeregt wird. Das Konzept eines autarken Biotops im Wohnraum stellt sie auf der Expo 2020 in Dubai in einem größeren Umfang vor. Das Thema der Expo 2020 ist Nachhaltigkeit und der niederländische Pavillon wird „Wasser, Energie und Nahrung vereinen“, ein Biotop in der Wüste. Die Solar-Designerin hat dabei auch stets das Europa der Zukunft im Blick. Immerhin hat die EU beschlossen bis 2040 CO2-neutral zu sein. Ob das in ihren Augen realistisch ist? „Bevor die europäischen Städte wirklich CO2-neutral werden können, muss eine Menge getan werden. Ich hoffe, dass wir diese Entscheidungen nicht zu schnell und kurzfristig angehen, indem wir einfach Solar-Paneele, wie wir sie kennen, überall anbringen. Ich hoffe, wir schauen ein wenig weiter in die Zukunft und wie wir unsere Städte aussehen lassen wollen. Dieser Ansatz in der Entscheidungsfindung ist jetzt relevant. Andernfalls gehen wir die Sache zu kurzfristig an, nur um unsere Ziele zu erreichen.“ Wichtig ist eine Weiterentwicklung der Solartechnologie, die van Aubel aufmerksam beobachtet und in besonderen Designs zum Ausdruck bringt.

Was passiert, wenn Solarpaneele vom Retter zum Täter werden?

Die meisten Paneele haben eine Lebensdauer von circa 40 bis 50 Jahren. In den kommenden Jahren erwartet uns also eine riesige Schwemme von Elektromüll. Zwar gibt es in  vielen Industrieländern auch eine gut entwickelte Recycling-Infrastruktur, doch  wenn die Paneele unsachgemäß entsorgt werden, wären sie eher Feind statt Freund der Umwelt. „Das Gute an der neuen Generation Solarpaneele ist, dass sie diesen Faktor bereits berücksichtigt haben und einfacher zu recyceln sind, da man die einzelnen Bauteile leichter voneinander trennen kann. Solarpaneele sollten zirkulärer sein und ich weiß, dass daran bereits viel geforscht wird.“

Mit diesen technischen Voraussetzungen und dem Movement, den sie in Gang setzt, ist sich van Aubel sicher, dass es in Zukunft mehr Architekten und Designer geben wird, die sich mit dieser Technologie auseinandersetzen werden.
Solartechnologie als Ganzes zu betrachten, diesen Ansatz erweitert die Designerin auf verschiedenste Materialien und Bereiche im alltäglichen Leben. In einem ihrer Projekte sollen Solarzellen in Stoffe eingearbeitet werden. Aktuell arbeitet van Aubel mit der Fashion-Designerin Pauline van Dongen an dieser Umsetzung. Aus diesen Solar-Stoffen könnte Kleidung entstehen, die wiederum das Smartphone aufladen kann. Solarenergie nicht mehr nur mit Photovoltaik-Anlagen gleichzusetzen, das ist der Designerin wichtig: „Es geht um eine übergreifende Vorstellung von Solarenergie.“ Hierfür berücksichtigt sie immer wieder verschiedenste Aspekte und ihr ist bewusst, dass Solarenergie nicht allein für unseren Energiebedarf aufkommen kann. Van Aubel sieht zusätzliche Möglichkeiten in der Kombination mit Biogas, Windrädern und Wasserstoff. Dieses Zusammenspiel von allem, zeichnet die Designs der Niederländerin aus und lässt wahre Innovation schon heute realisierbar machen. Solarenergie in ein Gesamtbild zu setzen und sie so immer weiter in den Alltag zu integrieren, dass strebt van Aubel an. „Wir sehen einen Shift und einen Wandel von Solartechnologie hin zu Solar-Design und ich denke, das passiert gerade weltweit.“

Um diesen Wandel zu erreichen ist es wichtig, Solarenergie in ihrem gesamten Ausmaß zu erfassen und jegliche Verbindungen damit im täglichen Leben zu festigen. Denn, „erfolgreiches Design sollte nicht nur wertgeschätzt und bequem sein, sondern auch Energie generieren,“ erklärt die Solar-Designerin. Diese nächste Stufe hinsichtlich erneuerbarer Energien wird sich zeigen, sobald man sich keine Gedanken mehr um Energieerzeugung machen muss, sondern nur noch um ihre Verwendung. „Was würde es bedeuten, wenn Energie unbegrenzt für uns zur Verfügung stünde? Wie würden wir dann Nahrung anbauen? Es wäre ein ganz anderes Mindset. Ich möchte, mich nicht nur auf einen Aspekt von Design fokussieren, wie zum Beispiel das es einfach nur schön aussieht. Ich bin vor allem daran interessiert etwas Ganzes zu designen zum Beispiel ein Haus oder vielleicht irgendwann mal eine Stadt. Das wäre definitiv ein Traumprojekt für mich.“

Solar-Design bedeutet, nicht nur eine Facette von Solarstrom im Blick zu haben, sondern es als holistisches System zu betrachten. Es ist ganz gleich, ob die Außenfassade, das Fenster, der Tisch oder gar die eigene Kleidung diese Energie liefert. Es geht vor allen Dingen darum Solartechnologie neu zu begreifen und deren weitreichendes Potential besser zu verstehen.