Mit Kunst die Welt zu einem besseren Ort machen

Die visionäre Kraft eines grenzenlos erfolgreichen Kunstkollektivs
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teamLab Borderless, Tokyo

Text: Kai Hafner, 24.07.2020

teamLab schafft etwas Einzigartiges: mit modernster Digital-Technik hoch emotionale Kunst zu schaffen. Das Visionäre daran: alles ist geboren aus einem kollaborativen Spirit. teamLab (gegründet 2001) ist ein internationales Kunstkollektiv, eine interdisziplinäre Gruppe verschiedener Spezialisten, die sich aus Künstlern, Programmierern, Ingenieuren, CG-Animatoren, Mathematikern und Architekten zusammensetzt. Im Rahmen ihrer gemeinsamen Arbeit versuchen sie sich, an der Verschmelzung von Kunst, Wissenschaft, Technologie und der natürlichen Welt.

Wie ernst ihnen der Kollektiv-Gedanke ist, merkt man daran, dass sie einzeln nicht zu fassen sind. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt nicht wirklich das eine Gesicht, das für teamLab steht und die Namen der Kollektiv-Mitglieder sind außer dem Gründer größtenteils nicht bekannt. Umso erstaunlicher, dass das erste ständige Museum der Künstlergruppe schon im Eröffnungsjahr 2018, das weltweit meistbesuchte Einzelkünstler-Museum war.

Von der unschuldigen Kunst-Vision zum meistbesuchten Kunst-Museum weltweit

Das Bestreben neue Beziehungen zwischen Menschen und der Welt durch Kunst zu erforschen, eine Hauptintention der teamLab Kunst, ist schon in der Entstehungsgeschichte angelegt. So wurde teamLab 2001 von Toshiyuki Inoko und seinen Freunden gegründet, um ein, „Laboratorium zum Experimentieren in gemeinsamer Kreation“ zu erschaffen. Die Intention von teamLab ist, durch Kunst neue Erfahrungen zu ermöglichen und durch solche Erfahrungen zu erforschen, was die Welt für die Menschen darstellt. Das Ziel dieser neuen Erfahrungen ist, die Wertmaßstäbe der Menschen zu verändern und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Was von Anfang auch da war, war der Glaube an die Macht der digitalen Technologie und an die Ur-Kraft kreativer Kollaboration. teamLab fand sich schnell in zahlreiche Projekte involviert, die diversen Kunstgenres angehörten. Zeitgleich wuchs und wächst das Kollektiv wie ein Pilzgeflecht, das sich, aus sich selbst heraus multiplizierend, über die ganze Welt verbreitet. Heute besteht das Kollektiv aus mehreren hundert Mitgliedern, die sich in wandelnden Projektteams, je nach Art der Aufgabe, immer wieder neu zusammentun. Die einzelnen Mitglieder sind jeweils Experten aus unterschiedlichsten Gewerken.

„In all unseren Ausstellungen hoffen wir, die Grenzen zwischen Menschen und Kunstwerken, zwischen Kunstwerken untereinander und zwischen dem Selbst und der Welt aufzulösen, um es den Besuchern zu ermöglichen, sich zu transzendieren, in Beziehung zu setzen und zu vermischen.

Wenn man das real im Kunstwerk erlebt, könnte man denken, dass alles in dieser Welt grenzenlos ist und dass die Welt ohne Grenzen schön ist.“

teamLab

Bis zur ersten wichtigen Ausstellung in der Kaikai Kiki Gallery in Taipeh brauchte es erstaunlicherweise bis 2011. Teilnahmen an großen zeitgenössischen Ausstellungen weltweit folgten, wie an der Singapur Biennale 2013. Seit 2014 vertritt die New Yorker PACE Gallery teamLab, alles entwickelt sich nun rasant. Das Kunstkollektiv hat unter anderem in Tokyo, New York, London, Paris, Singapur, Silicon Valley, Peking, Taipeh und Melbourne ausgestellt.

Was bis dahin sich nur in fluiden, temporären Installationen manifestierte, sollte sich erstmal ab 2018 verfestigen. Und das in einer ungeahnten Dimension. teamLab betreibt inzwischen millionenfach besuchte eigene Museen, unter anderem in Tokyo, Shanghai und Macau. Weitere sind geplant.

MORI Building DIGITAL ART MUSEUM: teamLab Borderless wurde schon im Eröffnungsjahr 2018 mit 2,3 Millionen Besuchern zum meistbesuchten Einzelkünstler-Museum weltweit.

Beinahe 60 Werke werden auf einer riesigen Fläche von 10.000 Quadratmetern ausgestellt, die um fünf Bereiche herum strukturiert ist.

Die Überwindung des Materiellen als grenzenlose Möglichkeit von Kunst, die digitale Technologien nutzt.

Im gleichen Maße, wie die magischen Licht- und Projektionserlebniswelten von teamLab für sich sprechen und intuitiv erfahrbar sind und dadurch eben auch als massiv erfolgreiche populäre Kunst funktionieren, ist der philosophische Überbau für das Selbstverständnis des Kollektivs entscheidend. Grundsätzlich geht es in der Kunst von teamLab darum, zu erproben, was mit digitaler Technologie in einem Kunstkontext alles möglich ist. So braucht digitale Technologie nicht mehr das Materielle, um sich auszudrücken und ermöglicht dadurch unendlich neue Ausdrucksformen. Kreativer Ausdruck hat während des größten Teils der Menschheitsgeschichte über statische Medien stattgefunden, oft unter Verwendung physischer Objekte wie Leinwand und Farbe. Das Aufkommen der digitalen Technologie ermöglicht es dem menschlichen Ausdruck, sich frei von physischen Zwängen zu entwickeln und unabhängig von einem physischen Objekt zu existieren.

Die Kunstwerke interagieren mit den Betrachtern und verändern sich dadurch kontinuierlich. Die Sujets entstammen beispielsweise der Flora und Fauna Welt oder der Unterwasserwelt. Bemerkenswert: Das Museum ist nie dasselbe, wenn man es wieder betritt.

Das utopische Element: Die Natur in Kunst verwandeln, ohne sie zu zerstören.

Ein wunderbares Beispiel dafür ist die jährlich stattfindende digitale Ausstellung „A Forest Where Gods Live“ im Mifuneyama Rakuen Park, Takeo Hot Springs, Kyushu.

Hier kommt etwas zum Tragen, was als ein Grundprinzip der Kunst von teamLab betrachtet werden kann. Eine utopische Überhöhung, ein Wahrnehmungsverstärker und damit eine intensivere Erlebbarkeit der gegenwärtigen Wirklichkeit – allein mit digitalen Mitteln. Durch die Zusammenführung unterschiedlichster Gewerke gelingt es dem Kollektiv in einem gemeinsamen Akt etwas Neues zu schaffen, ein stärkeres Bewusstsein zu kreieren für das Leben in seinem Fluss. Um selbstverständliches wie Felsen, Bäume oder Gewässer neu wahrzunehmen zu können. Das Faszinierende ist, dass dies teamLab direkt dort gelingt, wo der ständige Wandel sowieso präsent ist: in der Natur.

Ein wichtiges utopisches Element der teamLab-Kunst wird hier sichtbar: eine Inszenierung der Natur mit Hilfe digitaler Technologien und ihre Verwandlung in Kunst, ohne sie zu manipulieren und zu zerstören.

Der andere Mensch als positive Erfahrung

teamLab nutzt die Digitaltechnik, um damit interaktive Kunst zu schaffen, die Menschen als Teil des Kunstwerks betrachtet und sie zu einem Teil des Ganzen macht. Ein Grund-Charakteristikum interaktiver Kunst ist, dass die Existenz und das Verhalten des Betrachters die Kunst beeinflussen kann, wodurch die Grenze zwischen Kunst und Betrachter verwischt wird. Das Kunstwerk besteht, sowohl aus der Kunst als auch aus dem Betrachter. In der Folge kommt es zu einer Verschiebung in der Beziehung zwischen Kunst und Betrachter sowie zwischen dem einzelnen Betrachter und der Gruppe. Plötzlich werden Faktoren wichtig wie die Frage, ob es Betrachter gab, die das Werk vor fünf Minuten gesehen haben, oder was der Betrachter neben einem gerade macht. Das Ergebnis davon ist, dass die Kunst die Fähigkeit erlangt, die Beziehungen zwischen den vor ihr stehenden Betrachtern zu beeinflussen. Und wenn die Wirkung der Anwesenheit einer anderen Person auf die Kunst schön ist, ist es möglich, dass die Anwesenheit dieser Person selbst als schön empfunden wird. Der Andere wird nicht mehr als Störung empfunden, sondern als eine Bereicherung.

Die digitale Bespielung der Natur, in diesem Fall der riesigen Felsen, Höhlen, Wälder und Gärten des spirituellen Ortes Mifuneyama, ermutigt die Betrachter, in der Bedeutung unseres kontinuierlich sich wandelnden Leben gedanklich zu versinken.

Eine kleine Werkschau großartiger digitaler Kunst

Teamlab Nature Art Sustainability

teamLab Planets, Tokyo © teamLab

Drawing on the Water Surface Created by the Dance of Koi and People – Infinity

Ein Fest der Sinne: Die Besucher laufen mitten im Museum durch echtes Wasser. Auf der Oberfläche, die sich bis ins Unendliche zu erstrecken scheint, schwimmen digital erzeugte Kois, deren Bewegung durch die Anwesenheit der Menschen und auch anderer Kois beeinflusst wird. Wenn die Fische mit den Menschen kollidieren, verwandeln sie sich in Blumen und lösen sich auf. Die Schwimmbahnen der Kois werden dabei auf der Oberfläche als grafische Linie nachvollziehbar. Prinzipiell gilt: Das Kunstwerk wird in Echtzeit digital erzeugt und ist weder voraufgezeichnet noch in einer Schleife gespeichert. Das Faszinierende daran: Die Interaktion zwischen dem Betrachter und der Installation bewirkt eine kontinuierliche Veränderung des Kunstwerks. Visuelle Zustände können nie repliziert werden und werden entsprechend nie wieder so auftreten.

Teamlab Nature Art Sustainability Planet

teamLab Planets, Tokyo © teamLab

The Infinite Crystal Universe

Angelehnt an die die Technik der pointillistischen Malerei, die eine Anhäufung von Farbpunkten nutzt, um ein Bild zu erschaffen, werden hier Lichtpunkte verwendet, um dreidimensionale Objekte zu kreieren. Das interaktive Kunstwerk „The Infinite Crystal Universe“ drückt das Universum durch akkumulierte Lichtpunkte aus, die sich unendlich in alle Richtungen ausbreiten. Dabei können die Besucher mit ihren Smartphones Teile des Universums auswählen und diese in das unendliche Kristalluniversum entlassen. Jedes freigesetzte Element beeinflusst wiederum die anderen Elemente, die zudem durch die Anwesenheit der Menschen im Raum beeinflusst werden.

Teamlab Nature Art Sustainability Planet Tokyo

teamLab Planets, Tokyo © teamLab

Floating in the Falling Universe of Flowers

Ein Blumenjahr vergeht, während sich das Leben im Universum ausbreitet. Blumen wachsen, Knospen blühen und mit der Zeit fallen die Blütenblätter, die Blumen verwelken und sterben ab. Der Zyklus von Geburt und Tod geht weiter für die Ewigkeit. Der sitzende oder liegende Betrachter kann sich komplett diesem Prozess überlassen und nimmt mit der Zeit seinen Körper als schwebend wahr, der sich in der Welt des Kunstwerks auflöst.

Eine relevante Botschaft für die Welt mit farbenfroher Unbeschwertheit

Auch wenn auf der sensuellen Ebene alles wunderbar spielerisch, faszinierend und magisch daherkommt und dadurch für alle Alters- und Bildungsgruppen leicht konsumierbar ist und dadurch erst den unglaublichen Publikumserfolg verständlich macht – die Kunst von teamLab hat, wie wir gelernt haben, nicht nur einen ästhetischen oder kommerziellen Selbstzweck. Basierend auf der Grundidee, dass keine eindeutige Grenze zwischen Menschen existiert, möchte teamLab den Kunstteilnehmern eine Erfahrung ermöglichen, in der die Beziehung zwischen der Welt und dem Selbst grenzenlos und kontinuierlich ist. Alle sind und alles ist auf irgendeine Weise miteinander verbunden – so vermitteln das die Kunstwerke von teamLab. Das ist aktuell nicht nur eine hoch relevante Botschaft, die Art und Weise, wie sie von teamLab umgesetzt und transportiert wird, macht sie erst so attraktiv und wirkungsvoll.