The Sound of Silence
Sint Eustatius, eine Insel in der Karibik. Türkisfarbenes Wasser, überall freilaufende Esel, Kühe, Schafe, Hühner. Die Sonne scheint, man sieht Delphine und Buckelwale vorbeiziehen. Aber vor allem ist es still. Das war nicht immer so.
Sint Eustatius, von seinen Einwohnern liebevoll Statia genannt, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Geprägt durch Handelsforts, Sklaverei und Piraterie, erlebte die Antillen-Insel 22 dokumentierte Eigentümerwechsel. Seit 2010 ist Sint Eustatius eine Besondere Gemeinde der Niederlande mit 4.000 Einwohnern. Fernab von öffentlichen Netzen wurden die Bewohner jahrzehntelang über Dieselgeneratoren versorgt. Dröhnender Lärm übertönte das Meeresrauschen, Dieselruß verpestete die Luft und enorme Kosten überschatteten die karibische Idylle.
Sint Eustatius aus dem fossilen Zeitalter befreien
Fred Cuvalay, CEO des lokalen Energieunternehmens St. Eustatius Utility Company (Stuco) hatte davon buchstäblich die Nase voll. Denn die Abgase und der Lärm passten so gar nicht zu einer Insel, auf der gleich zwei Nationalparks heimisch sind. Und es passte auch nicht zu einem Unternehmen, das sich Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben hat. Sein Gedanke: Warum nicht die reichlich vorhandene Sonne nutzen, um die Menschen auf der Insel mit Strom zu versorgen?
Sonne aus dem Vorratsschrank
Genau mit diesem Auftrag holt Fred Cuvalay 2015 deshalb das Team der SMA Sunbelt aus Deutschland auf die Insel. Fossil, dreckig, laut und teuer sollte gestern, die Zukunft hingegen sauber, emissionsarm und nachhaltig sein.
In nur neun Monaten entwirft das Projektteam eine Stromversorgung auf Basis erneuerbarer Energien. Das Team aus insgesamt 20 Nationalitäten entwickelt dafür ein wahres Energiebündel: Ein großes Solarkraftwerk samt Batteriespeicher. Das solare Speichersystem lässt sich nahtlos in die die bestehende Infrastruktur einfügen, ein Hybridsystem aus Solarenergie und Dieselversorgung entsteht. Während das Solarkraftwerk aus Sonne Strom erzeugt, speichern die Batterien Sonnenenergie auf Vorrat zwischen. Sie steht dann in Momenten ohne Sonne oder nachts zur Verfügung. Damit können die Dieselgeneratoren auf Sparflamme laufen. Das hört sich ganz einfach an.
Über Hürden und Hindernisse zum Kinderspiel
Aber natürlich steckt jede Menge Entwicklergeist drin. Die größte Herausforderung: Alles exakt auf die Anforderungen und die Bedingungen vor Ort abzustimmen. So muss etwa die Steuerung des Systems so intelligent und schnell sein, dass die hier mitunter im Sekundentakt wechselnden Wolkenzüge kein Problem für die Stromversorgung darstellen.
Und ebenso wie die Software muss auch die äußere Hülle, die Hardware, passen, damit die Geräte in der salzhaltigen und tropischen Meeresluft nicht vorzeitig altern. Dabei können sich die Projektleiter Wiebke Krüger und Hamed Sadri voll und ganz auf die Expertise ihres Teams verlassen. Ins Schwitzen kommen sie eigentlich nur, wenn logistische Hürden wie im Zoll festhängende Lieferungen oder Gewichtsbeschränkungen beim Transport zu nehmen sind. Dagegen sind die technische Umsetzung und die Installation der Komponenten vor Ort für das erfahrene Team wieder ein Kinderspiel.
Naturkatastrophen schrecken Überzeugungstäter nicht ab
Andere Herausforderungen hingegen lassen sich überhaupt nicht beeinflussen: Noch während der Bauphase fegen zwei schwere Hurrikane über die Insel hinweg. Die zerstörerische Gewalt ist gigantisch – aber der Solarpark und die Batterie-Container überstehen die Stürme schadlos. Im Frühjahr 2016 dann der erste Meilenstein: Mit der Inbetriebnahme des Hybridsystems spart Stuco jetzt dank Solarenergie 800.000 Liter Diesel jährlich ein. Auftraggeber Fred Cuvalay ist davon so begeistert, dass er die Dieselgeneratoren am liebsten gleich ganz abstellen will. Ein mutiger und ambitionierter Schritt. Aber nicht unmöglich.
Und plötzlich ist es still
Mit einem gehörigen Schuss Vertrauen, einer Anlagenerweiterung und einem dafür neu entwickelten Batterie-Wechselrichter schaltet das Team im November 2017 die Dieselgeneratoren auf Sint Eustatius komplett ab. Der Moment ist technisch bahnbrechend – und doch ist nur ein Knopfdruck nötig. Dann ist es still. Die Dieselgeneratoren sind aus und die Solaranlage übernimmt die Stromversorgung.
Während das Team im Maschinen-Container jubelt, geht das Leben auf der Insel weiter seinen gewohnten Gang. Nicht einmal das Licht flackert. Denn die Stromversorgung ist nicht eine Sekunde unterbrochen. Das ist das größte Kompliment für das Team überhaupt.
Die Anlage liefert jetzt so viel Energie, dass sich die ganze Insel tagsüber mehr als zehn Stunden lang mit Strom allein aus Sonne versorgen kann. Sie springt sogar nachts ein, sollten die Generatoren ausfallen. Das spart 1,8 Millionen Liter Diesel und 4.500 Tonnen Kohlenstoffdioxid pro Jahr. Zum Vergleich: Mit dieser Menge Diesel könnte ein PKW rund sechseinhalb Mal um den Äquator fahren. Oder anders: Der Kraftstoff würde für ca. 34.000 Tankvorgänge eines PKW reichen. Bei rund fünf Minuten je Tankvorgang, würde man so 2.833 Stunden oder 118 Tage rund um die Uhr an der Tankstelle stehen und zapfen…
Für Sint Eustatius ist die Zeit der schwarzen Rußwolken damit endgültig vorbei. Nun hört man auch endlich wieder die Brandung rauschen. Die Insel ist jetzt ein grüner Leuchtturm für die gesamte karibische Region.