Net Zero Homes
Jeder, der schon einmal gebaut oder umgebaut hat, hat Geschichten zu erzählen – von unzuverlässigen Handwerkern, Baufehlern und gesprengten Kalkulationen. Fazit: Bauen ist schon ohne Klimafreundlichkeit kompliziert, teuer und anstrengend. Dabei gäbe es durchaus vielversprechende Ansätze, um den privaten Hausbau und den Klimaschutz in Einklang zu bekommen. Net Zero Homes – was genau ist eigentlich damit gemeint?
„Die Bau- und Immobilienwirtschaft können viel zum Erreichen der Klimaziele beitragen.“
– Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
In Großbritannien und Irland wohnten 2016 rund 75 Prozent der Bevölkerung in Einfamilienhäusern, in Portugal war es die Hälfte, in Österreich immerhin noch ein Drittel. Und trotz des Städtewachstums ist der Traum vom Häuschen im Grünen weit verbreitet. 2019 gab es rund 15,9 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland, pro Tag kommen rund 60 neue hinzu, in den USA ist die Zahl der neu gebauten Einfamilienhäuser im Jahr 2020 um 12 Prozent gestiegen. Und selbst in der überschaubaren der Schweiz entstehen jährlich immerhin knapp sechseinhalbtausend neue Einfamilienhäuser.
Der anhaltende Boom beim Wohnungsbau ist von größter Relevanz fürs Klima. Einerseits wegen der weltweit steigenden Emissionen im Bausektor, anderseits weil heute errichtete Gebäude in 20 bis 30 Jahren noch stehen sollten und damit zwangsläufig in die globale Klimabilanz einfließen. Alles in allem schlummert hier ein riesiges Klimaschutzpotenzial.
„Jedes Gebäude, das von heute an geplant wird, muss schon auf bestem Weg zur Klimaneutralität sein – angefangen mit Energieneutralität.”
– Zero Energy Project
Gesetzesinitiativen zum klimaschonenden Bauen gibt es weltweit. In der kanadischen Provinz British Columbia etwa hat die Regierung den Energy Step Code eingeführt, ein fünfstufiges Programm, nach dem bis 2032 alle neu gebauten Wohnhäuser eine Netto-Null-Energiebilanz aufweisen müssen. Nach der EU-Gebäuderichtlinie sind ab 2021 alle Neubauten als „Nearly Zero-Energy“-Gebäude auszuführen, wobei die Auslegung des Gesetzes ist den Mitgliedsstaaten überlassen ist.
In Deutschland ist für die Modernisierung von Bestandgebäuden und Neubauten seit 1. November 2020 das Gebäudenenergiegesetz GEG entscheidend. Seine Mindeststandards beziehen sich vor allem auf den Energieverbrauch für Heizung und Hitzeschutz. Strengere Vorgaben gelten für die staatlich geförderten KfW-Effizienzhäuser 55, 40 oder 40 Plus, wobei letzteres eine eigene Stromerzeugung und -speicherung voraussetzt.
Um das Pariser Klimaschutzabkommen erfüllen zu können, sind die derzeit geltenden Regelungen allerdings in keiner Weise ausreichend. Obwohl Klimagerechtigkeit in aller Munde ist, spielt es beim privaten Hausbau kaum eine Rolle. Das ist zwar bedauerlich, aber überaus verständlich angesichts der persönlichen und finanziellen Belastung, die der Bau eines Hauses meist bedeutet.
Der Kauf oder Bau eines Eigenheims markiert meist einen neuen Lebensabschnitt – Familiengründung oder -zuwachs; ein Karriereschritt oder ein Erbe. Es sind emotionale Themen und Zeiten, bei denen der Klimawandel vielleicht nicht unbedingt Punkt eins auf der inneren To-Do-Liste ist. Zudem unterschätzen Häuslebauer vermutlich das Klimaschutzpotenzial, das in ihrem kleinen Häuschen steckt.
„Der fast bei null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen – einschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird – gedeckt werden“
– EU-Gebäuderichtlinie
Wer sich dennoch an das Thema heranwagt, muss als erstes Fachchinesisch studieren: Ökobilanz, Effizienzhaus, Primär-, Nutz- und Endenergie, Dämmwerte, Wärmebrücken und so weiter. Einheitliche Definitionen? Schön wär’s! Weil beim klimaneutralen und nachhaltigen Bauen bisher die Experten und eine Handvoll Idealisten den Ton angeben, haben sich Denkweisen etabliert, die ein Laie schwer nachvollziehen kann. So bleibt bei Rechnungen zum Energiebedarf eines Hauses der Stromverbrauch seiner Bewohner im Allgemeinen außen vor. Aha. Hm … Ein Blick ins Internet hilft bei Verständnisfragen nur bedingt – wie bei vielen Spezialthemen finden sich kunterbunte Auffassungen, die bei schwacher Datenlage mit umso größerer Vehemenz vertreten werden.
„Klimafreundlich bauen heißt mit Gewohnheiten brechen.“
– Joost Hartwig
Wer klimafreundlich bauen will, braucht eine Portion Neugier und eine gewisse Charakterstärke. „Es gibt relativ große Vorbehalte gegenüber dem Thema Holzbau.“, berichtet der Geschäftsführer der Ina Planungsgesellschaft, Joost Hartwig, aus seiner Erfahrung. „Viele Menschen haben die Vorstellung, dass diese meist größte Investition in ihrem Leben gefühlt für immer halten soll, und dass ein Holzhaus das irgendwie nicht tut. Dabei kennen wir alle sehr alte Holzbauten, das stimmt natürlich nicht.“ Konventionen spielten eine große Rolle, sagt er: „Die erste Fertighausgeneration der 70er-Jahre prägt viele Leute noch heute.“, sagt der Planer. Das führe zu dem Widerspruch: „Wir wollen was Ökologisches tun, aber es soll sich bitte nicht vom Gewohnten unterscheiden.“ Lehmputz und Hanfdämmung wiederum stoßen bei der Verwandtschaft meist nicht direkt auf Gegenliebe. Hält das? Ziehen da keine Tiere ein? Klimagerechtes Bauen bringt meist erheblichen Erklärungsbedarf mit sich.
„Klimaneutraler Gebäudebestand in Deutschland bis 2050 ist möglich.“
– Umweltbundesamt
So oder so lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie ein Haus im Jahr 2050 (oder noch besser: von Anbeginn) klimaneutral betrieben werden kann, das heißt, seinen Energiebedarf vollständig aus selbsterzeugter, erneuerbarer Energie decken wird. Beim Nullenergiegebäude – Zero Energy Building – ist das der Fall. Wobei im Jahresmittel gerechnet wird, das heißt, dass extern zugeführte erneuerbare Energie, also beispielsweise während des Winters zugekaufter Ökostrom oder Holzpellets für die Heizung, durch Überproduktion an anderer Stelle oder zu einer anderen Zeit ausgeglichen werden darf. Die Steigerung – ein Haus , das mehr als seine eigenen CO2-Emissionen wettmacht – nennt sich Plusenergiegebäude.
Einer, der auf kreative Weise „einen erheblich positiven Beitrag zum Klimaschutz leistet“, ist Dietmar Geiselmann. Sein Wohnhaus im bayrischen Freising kommt nach den strengen Kriterien der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, DGNB, auf eine negative CO2-Jahresbilanz einschließlich der von den Bewohnern verbrauchten Energie.
Beispielshafte Zero-Energy-Einfamilienhäuser in verschiedenen US-Staaten zeigt ein Zusammenschluss zweier Clean-Energy-NGOs und der New York State Energy Research and Development Authority, das Getting To Zero Forum auf seiner Website. Der Solar-Nerd Dale, selbst stolzer Besitzer eines Photovoltaik-Dachs im Staat New York, zeigt in seinem Blog unterschiedliche Nullenergie-Einfamilienhäuser.
War’s das schon – so einfach wird ein Wohnhaus klimaneutral? Leider nein.
Denn klimaneutral im Sinne von zu 100 Prozent ausgeglichenen Treibhausgas-Emissionen ist ein Null- oder Plusenergiegebäude noch lange nicht. Wirklich klimaneutral ist ein Gebäude dann, wenn es über seine gesamte Lebensdauer gleich viel oder weniger Treibhausgas-Emissionen verursacht als es einspart oder durch die Erzeugung erneuerbarer Energie ausgleicht. Und diese Gleichung hat es in sich. Denn die Lebensdauer eines Gebäudes beginnt mit dem Bau. Und der Bau mit der Rohstoffgewinnung fürs Fundament – eine schier endlose Kette von klimaschädlichen Aktivitäten. All deren CO2-Emissionen müssen später ausgeglichen werden, wobei klimafreundliche Konstruktion, Baustoffe und Logistik die Ökobilanz positiv beeinflussen.
„Im Prinzip ist es in Deutschland nicht geregelt, was ein Gebäude in Herstellung und Entsorgung an Umweltwirkung hat.“, erklärt Joost Hartwig, Geschäftsführer der Ina Planungsgesellschaft. „Es darf beim Bau also so viel verbrauchen und emittieren, wie es will. Die aufgelaufenen Emissionen am Tag des Einzugs entsprechen selbst bei den hohen heutigen Effizienzstandards 20 bis 30 Jahren Betrieb. Also emittiere ich eben mal auf einen Schlag für die nächsten 20 Jahre, nur damit ich ein neues Haus hinstellen kann! Da merkt man schon, dass irgendwie die falschen Sachen gefördert werden.“
„Wir müssen stattdessen den kompletten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachten. Also die Errichtung, Nutzung, Instandhaltung und den Rückbau.“, erklärt Wolfgang Stumpf, Lehrgangsleiter am Department für Bauen und Umwelt der Donau-Universität Krems und Mitglied der IG Lebenszyklus Bau.
„Da ist weltweit eine große Dynamik drin.“
– Felix Jansen, DGNB
Mit dieser Auffassung sind die beiden Experten Teil einer internationalen Bewegung, die im Sinne der Klimaziele strengere Maßstäbe für geboten halten. Auch die Baustoffindustrie hat ihre Schlüsselrolle im Kampf gegen den Klimawandel erkannt. In einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion thematisierte die Forschungsplattform ReConstruct das klimaneutrale Bauen, eine Broschüre befasst sich mit der notwendigen Transformation der Branche samt ihrer Produkte und Prozesse.
Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V., DGNB, bekannt für ihr System zur Nachhaltigkeitszertifizierung, das mittlerweile in 27 Ländern Anwendung findet, eilt den gesetzlichen Anforderungen bewusst einen Schritt voraus. So bietet das aktuelle Bewertungssystem schon jetzt die Option zur Bilanzierung von Konstruktion und Betrieb eines Gebäudes. Für Umnutzungsfähigkeit, Flächen- und Materialrecycling und weitere Aspekte der Circular Economy gibt es Bonuspunkte.
Analog dazu hat die ÖGNB, die österreichische Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, ihren klimaaktiv-Kriterienkatalog 2020 stark überarbeitet. Demnach sind Kohle, Öl- und Gasheizungen im Neubau und bei Sanierungen überhaupt nicht mehr zulässig und sind als neue Kriterien Rückbau- und Kreislauffähigkeit hinzugekommen.
„Healthy buildings for people and planet“
– Active House Alliance
Auch die Active House-Allianz will die negativen Auswirkungen auf das Klima durch bauliche Aktivitäten auf das geringstmögliche Niveau senken. Dabei setzt ihr kürzlich von der Architekturkammer der VR China anerkanntes Bewertungssystem auf Selbstverpflichtung: Architekten und Bauherren schätzen hier ihr Anspruchsniveau auf den drei Feldern Komfort, Energie und Umwelt selbst ein und verifizieren die Umsetzung anhand von Indikatoren. Projekte wie das Blaue Haus in Erasmushove oder die Modernisierung des ukrainischen Forest House beweisen, wie stilvoll nachhaltige Architektur mit Holz, Lehm, Photovoltaik und wiederverwertbaren Bauteilen sein kann.
Bis sich diese weltweit diskutierte, umfassende Definition des klimaneutralen Bauens in Gesetzen manifestiert hat, ist das Net-Zero-Zuhause eine freiwillige Selbstverpflichtung analog zum Einkauf regionaler, saisonaler und biologischer Lebensmittel. Inspiration gibt es bei den Traumhäusern von Pionieren und Idealisten, bei Wettbewerben und Zertifizierungsplattformen. In der individuellen Umsetzung gilt: Es gibt tausend Optionen, es besser zu machen. Jeder, der im Rahmen des eigenen Budgets macht, was geht, verdient den Dank künftiger Generationen. Und wer erst einmal in einem lehmverputzten Bad erlebt hat, dass die Spiegel trotz dampfender Wanne nicht beschlagen, ist ohnehin überzeugt vom natürlichen Wohnklima.