Technisches Meisterwerk

Zwischen Gletscherspalt und Abgrund
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Text: Mareike Scheffer, 28.05.2020

Mit Millionenbeträgen saniert der österreichische Alpenverein seine in die Jahre gekommenen Wanderhütten und will sie fit machen für den Ansturm von Touristen. In dem empfindlichen Ökosystem der Alpen ist Nachhaltigkeit bei solchen Projekten ein Muss und eine besondere Herausforderung zugleich. Ein Paradebeispiel, wie das gelingen kann, ist wohl die Neugestaltung der Seethaler Hütte am Aufstieg des Hohen Dachsteins. Bei der Energieversorgung des beliebten Wanderziels setzten die Betreiber auch auf deutsche Expertise.

Schutzhütten, wie die Seethalerhütte, sind wichtig für die Sicherheit der ständig steigenden Zahl von Freizeit- und Profialpinisten. Bieten sie doch Schutz vor der oft extremen Witterung im Hochgebirge und laden gleichermaßen gemütlich zum Verweilen und Ausruhen vor dem weiteren An- oder Abstieg ein und sind zudem Standort für die Bergrettung. Von der planerischen und baulichen Meisterleistung und der Geschichte hinter der Erneuerung der Seelthalerhütte zwischen Gletschereis und Abgrund hier im Grenzgebiet zwischen Österreich, der Schweiz und Italien, ahnen die meisten Besucher wohl kaum etwas.

Wer heute in knapp 3000 (m.ü.A.) Meter Höhe über den Johann-Klettersteig die Schutzhütte erreicht, mag allenfalls über ihr futuristisches Aussehen verwundert sein, auf das der Begriff Hütte so gar nicht mehr passen mag. Giebeldach und Geranien? Fehlanzeige! Verwittertes Holz ist einer dunklen Metallfassade im geometrischen Körper gewichen, die laut den Architekten das Dachsteinmassiv nachzeichnen soll. So hat das Gebäude eine steil abfallende Südwand und eine flache Rampe nach Norden.

Wohlwollend wurde die neue Optik der Hütte mit einem Bergkristall verglichen. Kritiker sprachen davon, dass ein Ufo in den Alpen gelandet sei. Die Einordnung in Bergkristall oder Ufo mag vom Geschmack des Betrachters abhängen. Die technischen Fakten sprechen jedoch ihre eigene Sprache.

Durch neueste Technik kommt die Hütte ohne den Einsatz fossiler Energieträger aus. Das gelingt durch einen Mix aus Solar- und Blockheizkraftwerk, das nun für die unabhängige Versorgung der Schutzhütte zuständig ist.

Die ursprüngliche Seethalerhütte hatte schon einige Jahre auf dem Buckel, als sich der Alpenverein Austria 2016 entschied, per Architektenwettbewerb das morbide Wanderziel in ein neues Zeitalter zu führen.

1929 als Dachsteinwartehütte errichtet, wurde sie bis zur Jahrtausendwende mehrfach umgebaut. Trotz dieser zahlreichen Erneuerungen – die Hütte hatte ein im wahrsten Sinne des Wortes grundlegendes Problem: Ihren Standort. Dieser drohte durch den Rückgang des Permafrosts in einen Felsspalt abzurutschen. Entsprechend hausfordernd erschienen die planerische und bauliche Leistung. Geologische Gutachten waren notwendig. Zu allen baulichen Auflagen kam hinzu, dass sich der Alpenverein selbst auferlegte, beim Bau der Ersatzhütte Naturschutz, Umwelt, Alpinismus, Tourismus und Sicherheit in Einklang zu bringen.

Ein Vorschlag stach der Jury ins Auge. Es war die Planung der dreiplus Architekten aus Innsbruck, der aus Sicht der Jury entscheidende Vorteile mitbrachte. Denn sie vereinte die geringstmögliche Erschließungsfläche mit einer in die Fassaden integrierte Solaranlage und einer Trinkwasseraufbereitung. Somit konnte die Autarkie der Hütte bestens gewährleistet werden, die zuvor nur über ein Dieselaggregat möglich war.

Auf fossile Brennstoffe kann im neuen Zeitalter der Hütte somit komplett verzichtet werden. Eine Solaranlage samt Batterie-Speicher und ein Rapsöl-Blockheizkraftwerk (BHKW) erzeugen nun den nötigen Strom und sparen die zuvor benötigten rund 1.200 Liter Diesel pro Saison ein. Die Solaranlage liefert rund 60 Prozent der elektrischen Energie, die verbleibenden 40 Prozent das BHKW.

Bild der Seethaler Hütte
Auf fossile Brennstoffe kann auf der Seethaler Hütte komplett verzichtet werden
Hubrschauber beim Bau der Seethaler Hütte Solarpaneele

Der Energieüberschuss wird in den Batterien zwischengespeichert und steht nach Bedarf zur Verfügung. Dafür sorgt auch deutsche Expertise. Batterie-Wechselrichter Kassler Herstellers SMA Solar Technology übernehmen das Netzmanagement, das notwendig ist, weil die Hütte nicht ans öffentliche Netz angeschlossen ist. Sie bilden das Inselnetz und sorgen automatisch dafür, dass immer die nötige Menge Energie zur Verfügung steht.

Damit ist die Autarkie auch bei extremen Wetterbedingungen wie etwa Nebel und anderen Schlechtwetterlagen gewährleistet. Die Abwärme aus dem BHKW ist für Heizung und Brauchwasser-Erwärmung nutzbar. Der Gesamt-Wirkungsgrad des BHKW beträgt damit mehr als 80 Prozent.

Somit erscheint es kaum verwunderlich, dass der Alpenverein dieses Projekt als technisches Leuchtturmprojekt bezeichnet. Doch das hat auch seinen Preis.  Rund zwei Millionen Euro hat der in zwei Sommern realisierte Bau gekostet, zur Hälfte finanziert von der Sektion Austria und zu gut einem Drittel vom Hauptverein. Immerhin 200 000 Euro steuerte das Land Oberösterreich bei, etwa 70 000 Euro kamen über ein Spendenprojekt.

Wie notwendig diese Investition und der Ersatzbau der Seethalerhütte neben der alten Schutzhütte tatsächlich war, offenbarte sich im vergangenen Sommer. Beim Rückbau der alten Hütte kamen drei Dolinen zum Vorschein, darunter ein rund 30 Meter tiefer Felsspalt, berichtete die Kronen-Zeitung Steiermark und titelte: „Katastrophe am Dachstein gerade noch abgewendet.“