Cornelia und Volker Quaschning im Interview

Ein Gespräch mit Volker und Cornelia Quaschning über Familienurlaube, deutsche Ängste und die Energierevolution.
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Text: Angelika Brandt, 29.10.2020

Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin und einer der wichtigsten Protagonisten der deutschen Energiewende. Als solcher tritt er auch in unterhaltsamen Praxisvideos auf, die zeigen: Energiewende und Klimaschutz sind machbar. Seit Kurzem begleitet ihn seine Frau Cornelia Quaschning, ebenfalls jahrzehntelange Klimaschützerin, als Co-Star in den Videos und im gemeinsamen Podcast. Im Interview spricht das Ehepaar über Helikoptereltern, Statussymbole im Berliner Außenbezirk, schwer zu ändernde Gewohnheiten und darüber, dass es manchmal Mut zum Risiko braucht.

Herr Professor Quaschning, Frau Quaschning, diesen Sommer haben Sie Ihre Urlaubsreise mit dem Elektroauto von Berlin in die italienische Schweiz auf YouTube dokumentiert. Wie viel Zeit haben Sie zum Laden gebraucht – war das nicht sehr umständlich?

Volker Quaschning: Überhaupt nicht. Auf der rund 1.200 Kilometer langen Strecke haben wir insgesamt gut zwei Stunden mit Laden an Schnellladestationen verbracht – nicht mehr, als man ohnehin an Pausen machen würde. Das hat immer auf Anhieb geklappt und war nicht wirklich kompliziert. Etwas Vorbereitung und die richtigen Ladekarten sind dafür aber nötig. Ein bisschen Zusatzzeit brauchte dann noch der Dreh unseres Videos. Das kann man aber schlecht dem Elektroauto in die Schuhe schieben (lacht).

Wie kam es zu dem Videoprojekt?

VQ: An der HTW Berlin forschen wir schon seit Langem zu Energiewende und Klimaschutz. Im Wesentlichen scheitert es dann aber an der Umsetzung. Deshalb muss man den Elfenbeinturm auch einfach mal verlassen. Als vor einigen Monaten endlich unser Elektroauto geliefert wurde, haben wir beschlossen, ein Praxisvideo über den gemeinsamen Urlaub zu machen. Als Familie ist das ja auch viel authentischer. Unser Motto: Wir machen es einfach mal vor – vielleicht können wir andere inspirieren. Das soll Spaß machen, und die Leute bekommen die wissenschaftlichen Fakten sozusagen am Rande mit.

Worin genau bestand der Spaß? Mit drei Kindern plus Gepäck kommt man doch sicherlich auch mal an seine Grenzen – gab es da Herausforderungen oder lustige Situationen?

VQ: Für unsere Kinder waren die Fahrt und das Laden ein echtes Abenteuer, das sie richtig genossen haben. Sie sind große Fans des E-Autos, unsere ältere Tochter hat sogar am Videodreh mitgearbeitet. Besonders lustig war für uns: Als der Fahrer eines Dieselautos einmal direkt neben uns seinen Motor anließ, sprang die ältere Tochter entsetzt zur Seite und meinte: „Krass, wie laut diese alten Autos sind. Das hatte ich schon ganz vergessen.“

Dass Sie, Frau Quaschning, in den Videos – und auch im Podcast – dabei sind, ist aber neu.

Cornelia Quaschning: Was den Auftritt in der Öffentlichkeit anbelangt, ja. Wir sind aber beide seit Jahrzehnten im Klimaschutz aktiv und sind da ein gutes Team. Seit ihrer Gründung engagiere ich mich bei den Parents for Future, die sich für die nachfolgenden Generationen einsetzen. Als Familie möchten wir Vorbild sein, fahren ohnehin viel Fahrrad, nutzen öffentliche Verkehrsmittel und hatten viele Jahre kein Auto.

Ende der Neunzigerjahre habe ich als Informatikerin im Vertrieb einer großen Computerfirma gearbeitet. Den Geschäftswagen wollte ich damals ablehnen, was aber nicht ging, da die Kollegen befürchteten, ebenfalls auf ihr Statussymbol verzichten zu müssen. Ich habe den Wagen damals dann oft demonstrativ auf dem Firmenparkplatz stehen lassen.

„Mit dem Elektroauto zeigen wir: Es geht auch anders“

 

Ist es denn realistisch, ganz aufs Auto zu verzichten?

CQ: In der kurzen Zeit, die uns bleibt, um die Klimaziele zu erreichen, wird man  nicht alle Menschen dazu bewegen können, ganz ohne Auto auszukommen. Nur mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren – davon konnten wir unser Umfeld nicht überzeugen. Deshalb haben wir uns für ein Elektroauto entschieden. Auf diese Weise zeigen wir: Es geht auch ohne Diesel oder Benziner.

Ihre Kinder sind im Urlaubsvideo nicht zu sehen, waren aber dabei.

CQ: Die Kinder engagieren sich auch für den Klimaschutz, durch uns sind sie ja praktisch mit dem Thema aufgewachsen. Unsere mittlere Tochter war zum Beispiel maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir uns jetzt vegan ernähren. In einigen Familien gehen die Kinder auf Fridays-for-Future-Demos und beeinflussen ihre Eltern. Bei uns war das eher ein Gemeinschaftsprozess.

VQ: Jeder hat bei uns seine Nische. Zum Beispiel kümmert sich unsere andere Tochter um die Plastikvermeidung. Große Entscheidungen wie den Autokauf treffen aber natürlich die Eltern (lacht).

Nur wenige schaffen es bisher, ganz plastikfrei zu leben …

VQ: Plastikfrei und vegan zusammen klappt definitiv nicht. Einige Fleischalternativen bekommt man nur in Plastik eingeschweißt. Ich glaube, man muss überall Kompromisse eingehen. Wir versuchen, es so gut wie möglich zu machen.

Sie fahren einen Tesla, das kann sich ja nicht jeder leisten. Ist das nicht auch ein Statussymbol?

VQ: Wir wohnen nicht im reichsten Bezirk Berlins. Trotzdem haben viele Familien hier draußen mittlerweile zwei Verbrennerautos, die zusammen teurer sind als unser Elektrofahrzeug. Unsere Familie hat zu fünft nur ein Auto, das vergleichsweise wenig genutzt wird. Wir fahren meist mit der Bahn.

CQ: Bei Tesla denkt ja jeder gleich an das teuerste Modell. Wir haben den günstigeren Tesla 3, der ist vergleichbar mit einem großen VW …

VQ: … Audi oder BMW. Die sieht man hier im Außenbezirk übrigens jede Menge.

„Leider fährt hier fast jeder mit dem Auto zur Arbeit“

Was halten Sie von autofreien Innenstädten?

VQ: Jederzeit! In die Stadt fahren wir ohnehin nicht mit dem Auto, und wenn wir im Berliner Zentrum wohnen würden, hätten wir noch nicht einmal ein Elektroauto. Das würde dann ja drei Wohnblocks weiter stehen und wahrscheinlich nur alle drei Monate bewegt werden. Hier im Außenbezirk fährt leider fast jeder mit dem Auto zur Arbeit. Der öffentliche Nahverkehr wird meist nur von Schülern genutzt – wenn überhaupt. Wir hatten uns zum Beispiel entschieden, dass unser Sohn von der ersten Klasse an mit der Tram zur Schule fährt. Da war er aber ganz allein, alle anderen Kinder wurden mit dem Auto gebracht.

Haben Sie ihren Sohn dann trotzdem in die Tram gesetzt und allein fahren lassen?

VQ: Wir hatten gedacht, dass er an der Schule mit den vielen anderen Kindern einfach aussteigt – auch ohne lesen zu können. So mussten wir noch einmal ein gutes Jahr warten, damit er mögliche ungewöhnliche Situationen bei der Tramfahrt auch alleine meistern konnte.

Helikoptereltern sind ja ein verbreitetes Phänomen …

VQ: So ist es. Das Auto gibt aber nur ein subjektives Gefühl der Sicherheit. Neulich wurde ein Kind direkt vor der Schule von einem SUV anderer Eltern umgefahren. Es kommen nachweislich mehr Kinder als Insassen in einem PKW zu Schaden als zu Fuß oder mit der Tram.

CQ: Außerdem fördert es die Selbstständigkeit, wenn man dem Kind auch mal etwas zutraut. Als Therapeutin merke ich immer wieder, wie stark die Ängste der Eltern ansteigen. Sie schaden ihren Kindern damit unglaublich.

„Man müsste alle Faktoren ausschalten, die uns hindern, die Klimaziele zu erreichen“

 

In Ihrem Podcast fordern Sie die Energierevolution. Was genau meinen Sie damit?

VQ: „Energiewende“ klingt ein bisschen harmlos und müde. Wir müssen tatsächlich radikal die Kurve kriegen, das heißt: Wir brauchen einen sehr schnellen U-Turn, um in den nächsten 15, 20 Jahren klimaneutral zu sein. Hierfür müssten wir alle Faktoren ausschalten, die uns daran hindern, die Klimaziele zu erreichen. Wir brauchen ein komplett neues System im Energiebereich mit disruptiven Veränderungen – die durchaus positiv sein können. Und da redet man dann eben eher von einer Revolution als von einer Wende. Im Bereich Mobilität hieße das, den Verkauf neuer Verbrenner möglichst sofort zu verbieten – was für die Automobilindustrie sicherlich nicht so lustig wäre.

Ist es realistisch, dass Autos mit Verbrennungsmotoren schon bald verboten werden?

VQ: Ich glaube, viele Menschen können sich das schlichtweg nicht vorstellen. Sie sind fest davon überzeugt, ohne Verbrennerauto geht es einfach nicht.

 

„An Verkehrsampeln haben wir uns auch alle gewöhnt“

CQ: Ich sehe das gar nicht als so schwierig an. Schon in der Vergangenheit mussten viele Dinge einfach verboten werden. An Verkehrsampeln haben wir uns auch alle gewöhnt. Ebenso an die Anschnallpflicht oder das Rauchverbot in Restaurants. Genau das brauchen wir beim Klimaschutz, denn es geht ja um nichts Geringeres als um unser Überleben. Bei der E-Mobilität kann man sagen: Wir in Deutschland haben 30 Jahre total vertan. Die Autoindustrie hätte längst Pläne in der Schublade haben können – jetzt hat sie Schwierigkeiten, mit der ausländischen Konkurrenz mitzuhalten.

VQ: Wenn E-Autos günstiger sind als Verbrenner, wird der Shift sehr schnell erfolgen. Die Hälfte der Autobesitzer hat einen eigenen Stellplatz und kann schon jetzt problemlos laden. Für die andere Hälfte müsste die Politik die nötigen Rahmenbedingungen und Lösungen schaffen. Außerdem wird der Druck in Richtung Klimaschutz zunehmen.

„Hier herrscht ein Gefühl vor, die deutsche Wirtschaft sei unverwundbar“

 

Dabei geht es natürlich auch um das Überleben des Industriestandorts Deutschland. Teslas ganzheitliche Strategie beinhaltet günstiges Laden und eigene Batterien, das haben die deutschen Autohersteller nicht zu bieten. Hierzulande herrscht so ein Gefühl vor, die deutsche Wirtschaft sei unverwundbar. Dabei wissen wir aus der Geschichte, dass es schon ähnliche Brüche gab, zum Beispiel die Abwicklung des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet.

 

„Es ist faszinierend, wie Tesla alle Konventionen sprengt“

 

Dann haben die deutschen Autobauer Ihrer Meinung nach den Anschluss verloren?

VQ: Ich denke, theoretisch haben alle Hersteller, allen voran VW, verstanden, dass die Zeit drängt, aber die Entwicklungszyklen sind lang. Es ist schon faszinierend, wie Tesla beim Bau seiner Fabrik in der Nähe von Berlin zurzeit alle Konventionen sprengt. Große und schnelle Veränderungen scheinen in Deutschland undenkbar – siehe Berliner Flughafen. Dann kommt ein amerikanischer Konzern, kauft sich eine Holzplantage, und anderthalb Jahre später rollen – wie es so aussieht – 100.000 Autos vom Band. An dieser Dynamik könnte Deutschland sich ein Beispiel nehmen.

Aktuell regt sich ja einiges an Widerstand gegen die Tesla Fabrik. Ist es für Sie als Klimaschützer nicht ein Widerspruch, das Projekt so zu loben?

VQ: Mich wundert, dass gerade Dieselautofahrer sich über die Teslafabrik aufregen. Das erscheint mir wenig konsequent. Wenn wir trotz unseres Autowahns irgendwelche Klimaschutzziele erreichen wollen, geht, wie gesagt, kein Weg am Verbot von Benzin- und Dieselautos und am völligen Ersatz durch Elektroautos und öffentliche Verkehrsmittel vorbei.

Warum klappt der Fabrikbau von Tesla so schnell, während andere Großprojekte hierzulande nur stockend vorangehen?

VQ: Für mich ist das ganz klar eine Mentalitätsfrage. „Das geht nicht, das klappt nicht“, ist ziemlich fest in den deutschen Köpfen verankert. Hinzu kommt die deutsche Gründlichkeit. Der Berliner Flughafen ist im Sumpf aus Fehl- und Umplanungen sowie mangelnden Zuständigkeiten versunken – das Ergebnis kennt man ja. Tesla hingegen baut einfach, mit einer klaren Strategie. Obwohl die Baugenehmigungen nur vorläufig sind, und mit dem Risiko, das Werk theoretisch wieder abreißen zu müssen. Notfalls greift da dann eben ein Plan B.

CQ: Diese Visionslosigkeit nehme ich generell in Deutschland wahr, sowohl in der Politik als auch bei den Unternehmen. Darüber hinaus spielt die Kommunikation eine wichtige Rolle. Man muss die Menschen miteinbeziehen.

VQ: Bei der Coronakrise ist das anfangs ja sogar gelungen. In den ersten Wochen hat die Regierung sehr stark auf die Wissenschaft gehört und viel kommuniziert. Als es dann keine Pressekonferenzen mehr gab, nahm auch der Widerstand der Bevölkerung zu. Wenn es Veränderungen gibt, die sich die Menschen schwer vorstellen können – was ja auch für die Energiewende gilt – müssen sie halt erklärt und gut begründet werden. Um die Leute mitzunehmen, könnte man zum Beispiel, ähnlich wie bei Corona, eine wöchentliche Energiewende-Pressekonferenz abhalten und anstatt „Börse vor acht“ mit den Finanznachrichten täglich „Klima vor acht“ zur Lage der Klimakrise senden.

CQ: Aus meiner Sicht ist es auch sehr wichtig, Politik für die junge Generation zu machen. Denn die wird von den langfristigen Entscheidungen am meisten betroffen sein, da sie selbst nicht bei Wahlen mitbestimmen darf.

Erreichen wir die Klimaziele noch?

VQ: Ich bin immer Optimist. Technisch geht’s, und die Coronakrise hat gezeigt, Regierungen können flexibel sein, wenn sie’s denn wollen. Noch haben wir eine kleine, realistische Chance. Langsam schließt sich aber das Zeitfenster, weil wir die Geschwindigkeit, mit der die Maßnahmen umgesetzt werden, nicht unbegrenzt nach oben treiben können. In fünf oder zehn Jahren werden wir die 1,5-Grad-Grenze definitiv nicht mehr halten können.

Volker Quaschning ist seit 2004 Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Er wurde 1969 in Leonberg geboren und studierte Elektrotechnik an der Universität KIT Karlsruhe. Heute ist Quaschning einer der führenden Energiewende-Experten Deutschlands. 2019 hat er die „Scientists for Future“ mitinitiiert, die die Fridays-for-Future-Bewegung aktiv unterstützen.

Cornelia Quaschning wurde 1969 in Frankfurt am Main geboren. Sie studierte Informatik an den Fachhochschulen in Mannheim und Berlin und war mehrere Jahre lang als Systemberaterin im Vertrieb eines großen Computerunternehmens tätig, danach selbstständige Softwareentwicklerin und Projektleiterin. Seit 2015 ist sie Hypnose-Therapeutin sowie Kinder- und Jugendcoach. Gemeinsam mit ihrem Mann engagiert sie sich seit Jahrzehnten für den Klimaschutz und ist unter anderem bei den „Parents for Future“ aktiv.

Seit Oktober 2020 haben Volker und Cornelia Quaschning einen gemeinsamen Podcast.

Podcast von Volker und Cornelia Quaschning zur Klimakrise und Energierevolution:
dasisteinegutefrage.de