Alles anders, alles schlechter?
Die NASA wird von den meisten nur mit der Erforschung des Weltalls in Verbindung gebracht. Riesige Raketen, große Staubwolken und jubelnde Menschenmassen – diese Bilder haben sich vor allem in den 60er und 70er Jahren mit den Apollo-Missionen in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Spätestens seit private Player wie SpaceX den Himmel erobern und ihre Aktivitäten medienwirksam inszenieren rückt die Raumfahrt wieder in den Fokus. Doch eine zentrale Funktion der NASA wird bei all der Show oft übersehen: ihre Tätigkeit als geowissenschaftliche Forschungsinstitution – mit Blick auf die Erde.
Zwischen Größenwahn und Bodenständigkeit
Zugegeben: Weit entfernte Planeten und die Suche nach fremdem Leben faszinieren. Dennoch bemühen sich Experten wie der deutsche Astronaut Alexander Gerst immer wieder zu betonen, dass die Raumfahrt helfen kann, unser Leben auf der Erde zu verbessern – sei es durch andere physikalische Begebenheiten für Experimente oder schlicht den besseren Blick von oben. Auf seinem Twitterkanal postete Gerst während seiner Aufenthalte auf der ISS regelmäßig Aufnahmen von verschiedensten Regionen der Welt. Die User waren begeistert und erschüttert zugleich.
These photos, all shot within a few seconds of each other during #Horizons, show why there are no two identical photos of our planet from orbit. Mother Earth changes her face constantly… #archive pic.twitter.com/7X2NHXTzfI
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) April 12, 2019
Das NASA-Projekt „Images of Change“
Was als Tweet beim schnellen Vorbeiscrollen einen eher unterhaltenden Charakter hat, ist im Hintergrund jedoch wertvolle Forschungsarbeit. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts umkreisen mit Kameras und anderen Messinstrumenten ausgestattete Satelliten die Erde, um jegliche sichtbaren Veränderungen zu dokumentieren. Mit dem Projekt „Images of Change“ stellt die NASA diese Aufnahmen nun als Vorher-nachher-Bilder online zur Verfügung.
Die mehr als 200 Beispiele zeigen sowohl Veränderungen mehrerer Jahrzehnte als auch nur weniger Tage – und machen so die Fragilität der Erde deutlich. Egal, ob durch Naturkatastrophen oder zivilisatorischen Fortschritt: Kaum etwas scheint mehr so, wie es war. Doch ist Veränderung immer etwas Negatives? Die drei folgenden Beispiele regen zum Nachdenken an.
Buntes Treiben am Mekong
Spontan könnte man meinen: Blaugrünes Gewässer ist gesünder als braunes. Das jedoch ein Trugschluss, wie der Fall des Mekong zeigt. Der Strom, welcher sich von der Volksrepublik China bis zur Südküste von Laos erstreckt, gilt als Lebensader Südostasiens und gehört zu den längsten Flüssen der Welt. Der Mekong ist blaugrün und teilweise glasklar geworden, was durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren begünstigt wurde.
Wie die „Mekong River Commission“ berichtet, enthält der Fluss auf seiner gesamten Länge immer weniger Sedimente. Dies lässt sich sowohl auf immer weiter sinkende Niederschläge als auch die große Zahl an Staudämmen und Flusskraftwerken zurückführen, welche Sedimente aus dem Wasser filtern. Auch Nährstoffe werden dem Fluss so entzogen, was die Entstehung von Algen fördert und Fische sterben lässt. Zuerst betraf dies nur einzelne Flussarme – dann wurde der gesamte Mekong blaugrün.
Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, warum selbst nachhaltige Stromquellen wie Wasserkraft fatale ökologische Folgen haben können, wenn nicht umfassend und langfristig gedacht wird.
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© Images taken by the Operational Land Imager on Landsat 8. Source: NASA’s Earth Observatory
Wenn der Platz ausgeht: Shanghai
Shanghai ist, selbst für asiatische Verhältnisse, eine Metropole der Superlative. Die bei Touristen vor allem für ihre markante Skyline beliebte Stadt zählt heute geschätzte 23 Millionen Einwohner. Auch ihre Fläche von mehr als 6.300 km² beeindruckt. Doch das war nicht immer so.
NASA-Aufnahmen zeigen, dass sich die Urbanisierung 1984 weitgehend auf das Umfeld des Flusses Huangpu beschränkte. Doch der Anblick trügt: Man schätzt, dass Shanghai bereits damals etwa sechs Millionen Einwohner hatte. Aufgrund des hohen Anteils an Wanderarbeitern mit prekären Wohnverhältnissen sind genaue Zahlen jedoch schwer zu ermitteln. Mit der Bevölkerung wuchs im Laufe der Jahre auch die räumliche Ausdehnung Shanghais – nicht nur auf dem Festland.
Während die drastische Abnahme der Waldflächen Richtung des Landesinneren als beinahe gewöhnlich bezeichnet werden könnte, überrascht jedoch der Blick vor die Küste. Die dort liegenden Inseln Changxing und Hengsha wurden nicht nur stärker bevölkert, sondern ebenfalls künstlich erweitert – ein großer Eingriff in die geologische und meeresbiologische Beschaffenheit der Region.
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© Images taken by Landsat 5 and 8. Source: NASA’s Earth Observatory
Heißes Pflaster: die Arktis
Das schmelzende Eis der Arktis gehört zu den Klassikern der Klimawandel-Beispiele. Man könnte sich dabei erwischen, die Bilder von hilflosen Eisbären auf abgebrochenen Schollen als gegeben hinzunehmen – doch die Folgen des schmelzenden Eises sind nicht nur direkt in der Arktis, sondern weltweit spürbar.
Mit dem frei werdenden Wasser beginnt der Meeresspiegel sukzessive zu steigen. Eine Forschergruppe der University of Colorado berechnete 2018, dass dieser bis 2100 im Vergleich zu heute um 65 cm höher liegen könnte. Pessimistischere Prognosen gehen sogar von etwa 1,5 m aus. Klingt nach wenig, würde aber in vielen Regionen der Welt zu fatalen Überschwemmungen führen oder sie gar komplett überfluten. Die Folge könnten Millionen Klimaflüchtlinge sein.
Wer die NASA-Aufnahmen studiert, bemerkt den stärksten Rückgang des Eises nicht nur bei der großen Eisplatte am Nordpol, sondern auch zwischen den vielen kanadischen Inseln, die bis zur Küste Grönlands reichen. Dort ist das Eis an manchen Stellen schon komplett verschwunden. Man muss kein Naturwissenschaftler sein, um die Dramatik dieser Bilder zu verstehen.
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© Images by NASA Scientific Visualization Studio. Information sources:
2012: NASA Earth Observatory, 2013: NASA Earth Observatory, 2016: NASA Global Climate Change.
Veränderung als Lebensprinzip
Diese drei der insgesamt über 200 Aufnahmen des NASA-Projektes „Images of Change“ zeigen eindrucksvoll, welche Veränderungen auf der Erde bereits stattgefunden haben. Viele sind komplett menschengemacht, andere zumindest von unserem Handeln beeinflusst. Naturkatastrophen scheinen trotz größtem technologischen Fortschritt die letzten unberechenbaren Gegner zu sein, welche alles innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf stellen können.
Doch man kann es nicht schönreden: In nur wenigen Jahrzehnten hat die Menschheit mit ihrer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaft teils irreparable Schäden verursacht und noch mehr bedenkliche Entwicklungen in Gang gesetzt. Umso intensiver muss die Nachhaltigkeit jedes wirtschaftlichen Handelns deshalb in Zukunft überdacht werden, damit aus Veränderung nicht weitere Zerstörung wird.