Klimafluch oder Kommunikationssegen?
Die Digitalisierung birgt sowohl Risiken als auch Chancen, was den Klimawandel anbelangt. Auf der einen Seite stehen steigende Energieverbräuche, auf der anderen die Einsparpotenziale, die sie ermöglicht. Angesichts ihres rasanten Wachstums wird es höchste Zeit, die Digitalisierung in nachhaltige Bahnen zu leiten. Aber das ist gar nicht so einfach, denn die Datenlage ist alles andere als klar.
Keine Frage: Die Digitalisierung macht unser Leben sehr viel komfortabler. Wir kommunizieren global miteinander über zig Kanäle, haben Wunschkino im Wohnzimmer, smarte Häuser und Fabriken. Die technologische Entwicklung rast uns voraus, alle anderthalb Jahre haben Tablett und Smartphone ausgedient und werden durch das neueste Modell ersetzt — die Absätze sind gigantisch. Statista prognostiziert für das Jahr 2021 einen Smartphone Absatz von 1,42 Mrd. Stück, der jährliche Umsatz liegt laut der Datenplattform bei 522 Mrd. US$. Zum Vergleich: Für 2019 schätzt Statista die weltweite Neuzulassung von PKW auf rund 75 Mio.
Die Kehrseite der Bequemlichkeit und geringen Nutzungsdauer sind ein stetig steigender Energiebedarf und damit verbunden immer höhere Treibhausgasemissionen. Hinzu kommen Raubbau an der Natur und Zwangsarbeit beim Rohstoffabbau, insbesondere in politisch instabilen Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo. In Ghana wiederum landen Containerladungen von europäischen Endgeräten, die nicht mehr auf dem allerneuesten Stand sind, oder bei denen sich ein Akku- oder Displayaustausch „nicht lohnt“ illegal auf der Müllhalde Agbogbloshie. Die Einheimischen nennen die Deponie auch Sodom, da sie permanent in hochgiftige Rauchschwaden gehüllt ist. Denn um an verwertbare Rohstoffe heranzukommen, werden Geräte und Bildschirme einfach aufgeschlagen und Komponenten offen verbrannt, was zu hohen Schadstoffbelastungen von Luft, Boden und Wasser führt.
Allerdings birgt die Digitalisierung auch ein beträchtliches Potenzial, um Treibhausgasemissionen zu verringern. Einerseits durch verbindliche Zugeständnisse der Hersteller und eine Veränderung des Endnutzerverhaltens, andererseits durch digitale Prozessoptimierung in verschiedenen Sektoren. Die Bundesregierung will durch Richtlinien dafür sorgen, dass die Digitalisierung zügig in nachhaltige Bahnen geleitet wird. Dazu hat sie aktuell eine Agenda erstellt, die unter anderem Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnologie in die Pflicht nehmen soll. Währenddessen unterstreicht der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, Bitkom, in einer aktuellen Studie die Notwendigkeit, die Digitalisierung voranzutreiben, um durch sie Einsparpotenziale in anderen Sektoren auszuschöpfen.
EU soll Handlungsrahmen schaffen
Anfang März 2020 stellte Bundesumweltministerin Svenja Schulze ihre „Umweltpolitische Digitalagenda“ vor. Dabei warnte sie, dass der global steigende Datenverbrauch ohne entsprechende Richtlinien zum „Brandbeschleuniger für den Klimawandel“ würde und bereits 2025 beim Treibhausgas-Ausstoß mit dem weltweiten Autoverkehr gleichauf sei. Die Digitalagenda ist ein Pionierprojekt innerhalb der EU, doch auch auf europäischer Ebene will Schulze die Agenda vorantreiben. Insgesamt sind vier Maßnahmenpakete vorgesehen:
- Paket I „Zukunftsprogramm Umweltgerechte Digitalisierung“ soll den Energiebedarf und den Ressourcenverbrauch digitaler Technologien reduzieren.
- Paket II „Transparenzinitiative“ soll für mehr Transparenz sorgen, etwa durch einen digitalen Produktpass, der Umweltdaten im Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen mit sich trägt, sollen Verbraucher, Industrie und Abfallwirtschaft nachhaltiger handeln können.
- Paket III „Digitale Innovationen für den sozial-ökologischen Umbau“ soll wichtige Impulse setzen, um digitale Innovationen als Werkzeug für den sozial-ökologischen Umbau einzusetzen.
- Paket IV „Umweltpolitik 4.0“ soll durch digitale Technologien eine datenbasierte, transparente und durchsetzungsstarke Umweltpolitik ermöglichen.
Bitkom: 37 Prozent weniger CO2 durch digitale Technologien
In seiner aktuellen Kurzstudie „Klimaschutz durch digitale Technologien – Chancen und Risiken“ hat der Digitalverband Deutschlands, Bitkom, die Klimawirkungen der Digitalisierung näher betrachtet. Durch den Vergleich mehrerer Studien, wurde versucht herauszufinden, wie sich die durch digitale Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) entstehenden Treibhausgasemissionen anteilig verteilen auf Herstellung, Betrieb und Infrastruktur. Zudem wurden Einsparpotenziale untersucht, welche durch digitale Technologien ausgeschöpft werden könnten. Die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Digitalisierung in Deutschland bis 2030 den CO2-Ausstoß um 37 Prozent mindern könne.
Überblick über die Ergebnisse:
Treibhausgas-Emissionen
Laut Studie sind 1,8 bis 3,2 Prozent der globalen Emissionen von Treibhausgasen auf die Herstellung und den Betrieb digitaler Geräte und Infrastrukturen zurückzuführen. Rechenzentren und Kommunikationsnetze sind dabei jeweils für rund 15 Prozent verantwortlich, während etwa 70 Prozent auf Hardware bzw. Endgeräte entfallen. Insgesamt schätzt die Kurzstudie die weltweiten Treibhausgasemissionen der Endgeräte für 2020 auf etwa 900 bis 1.100 Megatonnen CO2-Äquivalent sowie jeweils etwa 200 bis 250 Megatonnen für Rechenzentren und Netze.
Globale Potenziale
Die größten Klimapotenziale der Digitalisierung sieht die Bitkom-Studie in den Sektoren Energie (Elektrizität und Wärme), Gebäude sowie Mobilität und Transport, gefolgt von Landwirtschaft und Industrie. Weltweit sollen durch konsequente Digitalisierung insgesamt bis zu 20 Prozent THG-Emissionen eingespart werden können. Die wissenschaftlichen Szenarien hierzu gingen allerdings auseinander, räumen die Autoren ein.
Potenziale in Deutschland
In Deutschland sieht die Studie das höchste Einsparpotenzial in der Industrieproduktion und dem Gebäudesektor, gefolgt von den Sektoren Transport und Energie. Im Jahr 2030 könnten durch digitale Technologien und Lösungen bis zu 290 Megatonnen CO2-Äquivalent eingespart werden. Im Vergleich mit einem THG-Referenzszenario von 2009 kommen die Autoren auf einen Wert von etwa 37 Prozent der prognostizierten THG-Emissionen des Jahres 2030.
Weitere Infos in der Pressemitteilung sowie der Studie
Ja, wie denn nun?
Die Bundesregierung will also IKT-Anbieter und Verbraucher in die Sparpflicht nehmen, die Bitkom-Studie sieht Einsparpotenzial vor allem in Sektoren wie Industrie, Gebäude, Transport. Klar, dort sind Verbräuche und Ausstoße weitaus höher als im IKT-Bereich mit seinen 1,8—3 Prozent. Aber insgesamt hat die Studie einen Beigeschmack. So wird nicht auf die Kritikalität von IKT-Rohstoffen eingegangen mit dem Verweis, dass die in der Kurzstudie ausgewerteten Studien nicht darauf eingingen. Das Konsumverhalten wird als „große Unbekannte“ ebenfalls nicht näher betrachtet. Dennoch wird grafisch deutlich hervorgehoben: „etwa 90 Prozent der THG-Emissionen aus Rechenzentren entstehen in der Nutzungsphase“ und „etwa 90 Prozent der THG-Emissionen aus Telekommunikationsnetzen entstehen in der Nutzungsphase“. Das mag ja auch stimmen. Liegt ja auch auf der Hand. Ein Auto verbraucht schließlich auch keinen Treibstoff und entwickelt keinen CO2-Ausstoß, wenn es in der Garage steht. Ist die Automobilbranche damit fein raus aus der Abgasdebatte? Wohl kaum. Bei genauerer Betrachtung der Studie kann also durchaus Skepsis aufkommen gegenüber der dargelegten Einsparpotenziale.
Die Politik wird indes für mehr Transparenz sorgen müssen, denn die Datenlage ist hochgradig diffus. Das konstatieren auch die Autoren der Bitkom-Studie. Dort werden aus verschiedenen Prognosen Verbrauchsspannen angegeben, die den Autoren plausibel scheinen. Für Rechenzentren (weltweit) beispielsweise wird eine Verbrauchsspanne von 200 bis 1.000 Terrawattstunden mit Emissionswerten zwischen 200—250 Megatonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2020 angegeben. Auch das Umweltbundesamt hat, wie oben erwähnt, noch keine verlässlichen Daten zu Rechenzentren. Bevor hierzu keine Klarheit herrscht, dürfe es schwierig sein, verlässliche Vergleiche zu Einsparungspotenzialen anzustellen.
Für Endgeräte findet sich in der Bitkom-Studie keine zusammengefasste Prognose für den Verbrauch. Die in der Bitkom-Studie zitierten Studien prognostizieren dazu weltweite Werte für 2030 von 33 bis 30.715 Terrawattstunden, je nachdem, ob Herstellung und Geräte wie Lautsprecher und Fernseher mitberechnet werden.
Insgesamt herrscht im Bereich Digitalisierung bisher also viel Datendiskrepanz, Verbrauchs- und Emissionswerte können nur sehr grob geschätzt werden, sowohl von Politik wie auch vom Digitalverband. Gut, wenn sich das durch die neue Digitalagenda ändert. Denn dann können Politik und Digitalverbände europaweit daran arbeiten, die Digitalisierung an sich nachhaltiger zu gestalten und sie zugleich verstärkt dort einsetzen, wo sie helfen kann, Treibhausgasemissionen zu verringern.
Für die Verbraucher allerdings ist die Sache eigentlich klar und relativ einfach: insgesamt weniger konsumieren. Öfter mal Sport treiben, statt zu Streamen oder zu Daddeln, Videos nicht unnötig auf 4k laufen lassen, Ökostrom beziehen und beim Einkauf zu langlebigen Produkten aus möglichst nachhaltiger Herstellung greifen. Damit kann jeder, unabhängig von der Datenlage einen Beitrag zu nachhaltiger Digitalisierung leisten.
Denn wenn die Energiewende gelingen soll und THG-Emissionen sinken sollen, muss der Energieverbrauch massiv gesenkt werden, in allen Sektoren. Und das gelingt nicht dadurch, dass jeder den Schwarzen Peter im Ring herum weitergibt, sondern nur durch transparente, verantwortungsbewusste Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Verbrauchern.