Die Image-Krise des Klimawandels

Warum uns das Schmelzen der Polkappen kalt lässt
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Text: Samime Kutlu, 27.04.2021

Es ist das Jahr 2004. Im britischen Oxford gründen Richard Sexton und George Marshall Climate Outreach. Mit der NPO verfolgen sie das Ziel, den Klimawandel in die öffentliche Diskussion zu integrieren, indem sie einen neuen Narrativ und authentische Bilder verwenden. Denn, obwohl die Klimakrise ein verbreitetes Thema ist, scheinen sich die Menschen deren Auswirkungen nicht gänzlich bewusst zu sein. Was macht es also so schwer über den Klimawandel zu sprechen?

Der Klimawandel hat ein Image-Problem

Wir kennen vor allem die viel genutzten Motive des Klimawandels: schmelzende Polkappen, ertrinkende Eisbären und qualmende Industrieschornsteine. Dennoch ist der Klimawandel selten Bestandteil unserer Alltagsgespräche. Woran liegt das? Dass diese Bilder nicht wirken, liegt vor allem an der einseitigen Darstellung dieser facettenreichen Problematik. Climate Outreach verfolgt deshalb das Ziel die Thematik in der Öffentlichkeit neu zu beleben durch die Formulierung eines entsprechenden Narrativs. Außerdem muss die Bildsprache angepasst werden, denn die Klimakrise hat viele Bilder und unterschiedlichste Auswirkungen, die entsprechend dargestellt werden müssen. Es geht um Bilder, die zeigen, wie sich die Klimakrise lokal auswirkt, aber gleichzeitig auch welche Chancen und Innovationen sie hervorbringt. Kurzum es fehlen authentische Bilder, die eine Verbindung zum eigenen Alltag herstellen.

Wie zeigt man den Klimawandel richtig?

Die NPO kreierte sieben Kernprinzipien, wie man mit Bildern über den Klimawandel richtig kommuniziert. Um diese Prinzipien in Taten zu verwandeln, wurde von Climate Outreach das Programm Climate Visuals ins Leben gerufen. Die Erstellung des Programms begann auch hier mit einer simplen Frage. Ein Kunde fragte nach einer visuellen Kommunikationsstrategie für den Klimawandel. Als Climate Outreach dazu recherchierte, bemerkten sie, dass es diese Kommunikationsstrategie noch nicht gab. Den ersten Bericht dazu veröffentlichte die Umweltorganisation im Januar 2016.

Hinter der NPO steht ein Team mit unterschiedlichsten Kompetenzen, das genau weiß, wie es die Menschen erreicht. Die Kommunikationsstärke setzt sich aus Kommunikationsexperten, Sozialwissenschaftlern und Klimaforschern zusammen, die gemeinsam den Klimawandel auf diese Weise bekämpfen wollen. Mit der richtigen Kommunikation und der korrekten Abbildung der größten Problematik des 21. Jahrhunderts versucht Climate Outreach eine umfassende Lösung zu bieten. Schließlich ist das Dilemma der Klimakrise vor allem eines ihres Images. Damit die Klimakrise bildlich neu zum Ausdruck gebracht wird, führte das Programm eine Umfrage durch, die zwei verschiedene Methoden kombinierte. Zunächst wurden vier Diskussionsgruppen gegründet. Davon diskutierten je zwei Gruppen in London und Berlin. Hier besprachen die Teilnehmer verschiedene Klimakrisen-Bilder und diskutierten über deren Wirkung. Daraufhin erfolgte eine internationale Online-Befragung. Diese Umfrage umfasste 3.014 Befragte aus den USA, dem Vereinigten Königreich sowie Deutschland.

Daraus resultierten die Kernprinzipien beziehungsweise die folgenden sieben Regeln:

  1. Zeige authentische Personen auf Bildern und keine inszenierten
  2. Erzähle neue Stories
  3. Zeige Klimawandel-Auswirkungen im richtigen Verhältnis
  4. Die Auswirkungen der Klimakrise sind emotional-starke Bilder
  5. Kenne deine Zielgruppe
  6. Zeige lokale, aber ernste Auswirkungen
  7. Sei vorsichtig im Umgang mit Protestbildern
Climate Visuals

Die Umfrage kam zu dem Schluss, dass die meisten Menschen die klassischen Klimawandel-Bilder und -Geschichten kannten. Deshalb setzten sich nicht mehr aktiv mit diesen auseinander. Mit den 7 Regeln änderte sich das.
Somit entstanden nicht nur gänzlich neue Kernprinzipien in der Klimakrisen-Bildkommunikation, sondern führten auch zur Gründung von Climatevisuals.org. Dabei fungiert das Programm
laut eigenen Angaben als erste beweisgestützte Bild-Bibliothek der Welt. Dabei bleiben alle Rechte weiterhin bei den Fotografen, da Climate Visuals die Bilder nicht gehören. In den verschiedenen Galerien befinden sich thematisch-entsprechende Bilder, die mit einer Bildunterschrift versehen sind. Der Nutzer erfährt in kurzen Sätzen mehr über den Hintergrund des Fotos. Bild und Information verschmelzen zu einer neuen Darstellung des Klimawandels und schärfen den Fokus sowie den Wissenstand des Users. Ziel ist es von einer Protestkultur zurück zu einem öffentlichen Diskurs zu gelangen.

Wie sieht der Klimawandel nach den sieben Prinzipien aus?

Eine junge Frau steht auf einer hölzernen Leiter. fotografiert von Abbie Trayler-Smith, Panos Pictures. Eine wacklige Angelegenheit hoch in den Wipfeln. Doch die Frau ziert ein breites Lächeln, als sie die Solarpaneele neu justiert. Dieses Bild beschrieben die Teilnehmer als kraftvoll und leichtverständlich, und nahmen es als ein positives Beispiel im Kampf gegen den Klimawandel wahr. Dieses Foto fällt dabei unter die Prinzipien: Zeig authentische Menschen und erzähle neue Stories.

Climate Visuals

Ein weiteres Bild, eine weitere Story. Dass es in Indien immer wieder zu Überschwemmungen kommt, ist nicht überraschend zur Monsunzeit, jedoch werden diesen Regenfällen immer stärker. Auf diesem Bild erkennt man Menschen, die in einen Bus ein- und aussteigen, während sie mehr als knöcheltief im schlammigen Wasser stehen. Über ihren Köpfen sind Regenschirme gespannt. Bei diesem Bild hatten die Teilnehmer das Bedürfnis mehr über die abgebildeten Menschen zu erfahren. Ein Foto mit starker Wirkung: In entlegenen Gebieten, in denen es noch kein flächendeckendes Stromnetz gibt, ist Solarenergie eine günstige Möglichkeit Lampen erleuchten zu lassen. Dieses Bild fotografiert von Patrick Bentley (CC by 2.0) zeigt einen Jungen, der gerade seine Hausaufgaben macht. Es ist schon dunkel, aber dank der solarbetriebenen Leuchte kann er dennoch lernen. Bilder wie dieses lassen die Betrachter eine Verbindung aufbauen. Sie erkennen direkt einen positiven Nutzen der erneuerbaren Energien für den einzelnen Menschen.

Ein weiterer Faktor der erfolgreichen Bildkommunikation ist das Motiv an sich. Die Umfrage bewies, dass ein Bild länger betrachtet wird, wenn Menschen oder Tiere darauf abgebildet sind. Neben der emotionalen Wirkung setzt Climate Visuals auf weitere Methoden. Eine davon ist die bildhafte Kontrapunktierung: Eine Waldabholzung auf der einen Seite und ein Mensch, der einen Setzling in einer ausgedörrten Landschaft pflanzt, auf der anderen Seite. Durch die überwiegend visuelle Gestaltung des Internets hat Climate Visuals eine entsprechende Methodik entwickelt: Es werden mehrere Fotos aneinandergereiht oder zusammen abgebildet, um allein durch ihre Wirkung eine Geschichte zu erzählen. Anschließend wird diese Bilderreihe mit informativen Fakten untermauert. Durch diese Methoden entstehen neue Wirkweisen und gleichzeitig wird eine nahbare sowie vielseitige Darstellung des Klimawandels kreiert.

Climate Visuals Boy

Die Frage ist nun, hat dieses Programm tatsächlich etwas verändert?

Die britische Zeitung The Guardian hatte ihre redaktionellen Richtlinien hinsichtlich der bildlichen Darstellung des Klimawandels überdacht und dabei den Rat von Climate Visuals hinzugezogen. Gestützt auf die Erkenntnisse und Forschungsergebnisse des Programms, begann die berühmte Zeitung die Bilder entsprechend auszuwählen. Durch diesen Austausch erreicht Climate Visual indirekt bereits Millionen Leser im Vereinigten Königreich.

An dem Programm nehmen außer den Wissenschaftlern von Climate Outreach auch weltweit Fotografen teil. Sie bringen mit ihren Bildern diese wichtigen Stories in Umlauf und verschaffen ihnen dadurch Gehör.
Das Programm versucht, aufgebaut auf soziologischer Forschung in Europa und den USA, die aktuelle Bild-Kommunikation und Darstellung des Klimawandels nachhaltig zu verändern. Dadurch will es vor allem einen diverseren sowie emotional-zugänglicheren Umgang mit der Klimakrise gestalten. Gleichzeitig stellt Climate Visual mit diesem Programm eine bildgewaltige Ressource für verschiedenste Organisationen zusammen und stellt zugleich ein Handbuch für die richtige visuelle als auch sprachliche Kommunikation des Klimawandels zur Verfügung.
Mit diesen Mitteln können vor allem NGOs eine größere Zielgruppe erreichen und das Image des Klimawandels nachhaltig verändern. Zudem wird das Programm in Zukunft eine Partnerschaft mit TED Countdown eingehen, um die Wichtigkeit der Thematik weiter in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken.
Durch die Verwendung und Verbreitung eines neuen Narrativs sowie neuer visueller Ressourcen schafft es Climate Visuals vielleicht, dass wir in Zukunft ein Foto näher betrachten, und endlich über den Klimawandel sprechen, wie wir auch über das Wetter reden.