Anstoß für klimaneutralen Fußball

Der Profifußball in Europa muss nachhaltiger werden. Auf dem Weg zur Klimaneutralität geht die Bundesliga voran.
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Text: Erik Klügling, 13.02.2024

Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden auch im Profifußball immer wichtiger. In England und Spanien gibt es bereits grüne Initiativen von großen und kleinen Vereinen. In Europa nimmt jedoch die Bundesliga eine Vorreiterrolle ein.

Wer als Auswärtsfan beim englischen Fußballverein Forest Green Rovers auf Toilette geht, spendet (un)freiwillig Dünger. Vermischt mit Seetang wird der Gäste-Urin zum Mineraliensmoothie für den Stadionrasen. Doch der Viertligist geht in Sachen Nachhaltigkeit noch radikal weiter: Das komplette Catering und das Bier sind vegan. Außerdem deckt der Viertligist seinen kompletten Energiebedarf mit Photovoltaik auf dem Stadiondach, selbst der Rasenmäher läuft mit Solarenergie. Während die Fans Ladesäulen für E-Autos nutzen können, reist die Mannschaft per Elektrobus zu Auswärtsspielen. All das und noch viel mehr machte die Forest Green Rovers aus dem beschaulichen Nailsworth im Westen Englands 2018 zum ersten klimaneutralen und veganen Fußballclub der Welt.

Mit Traditionen brechen

Clubchef Dale Vince treibt den grünen Wandel maßgeblich voran. Der selbsternannte Hippie machte mit seinem Ökostrom-Unternehmen Ecotricity ein Vermögen und kaufte sich 2010 in seinen Lieblingsverein ein. Er sagt: Fußballklubs müssen grüne Vorbilder sein und dabei auch mit Traditionen brechen – etwa mit der klassischen Stadionwurst, die es bei den Rovers nur als vegane Variation gibt.

Menschen in Fussballstadion schauen ein Spiel

So sind die Forest Green Rovers nicht nur Botschafter des grünen Fußballs, sondern gefragter Gesprächspartner bei großen Vereinen. Denn die englische Premier League will bis 2040 klimaneutral werden, Traditionsvereine wie der FC Liverpool, FC Chelsea oder Manchester United müssen umweltfreundlicher werden.

Veganer Burger auf Teller

Den Weg dahin zeichnen die Forest Green Rovers vor, die Konzepte des Viertligisten müssen sich nun auf einer größeren Skala bewähren. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Blick nach Deutschland.

60.000 Bäume pro Spieltag

Einer Modellrechnung nach werden an einem Spieltag der 1. Bundesliga rund 7.800 Tonnen CO2 emittiert. Vor allem die An- und Abreise von Fans und Auswärtsmannschaften verursacht viel CO2, da viele Fans mit dem Auto anreisen und die meisten Mannschaften lieber den Mannschaftsbus oder ins Flugzeug statt in die Bahn steigen. 60.000 neu gepflanzte Bäume bräuchte es jedes Wochenende, um diese Menge an Treibhausgasen zu kompensieren. Aber auch der Spielbetrieb verschlingt eine Menge Energie – Stadionbeleuchtung, Rasenheizung, Catering. Dazu kommen etliche tausende Liter Wasser für Sanitäranlagen, Rasenpflege und Reinigung zusammen. Nicht zu vergessen: Der enorme Müllberg vor und in den Stadien.

DSC Arminia Bielefeld
„In Sachen Nachhaltigkeit nimmt die Bundesliga im europäischen Vergleich eine Vorreiterrolle ein“ – Maël Corboz, Profifußballer

Dennoch: „In Sachen Nachhaltigkeit nimmt die Bundesliga im europäischen Vergleich eine Vorreiterrolle ein“, sagt Profifußballer Maël Corboz. Der 29-jährige US-Amerikaner spielt als zentraler Mittelfeldspieler bei Arminia Bielefeld und ist Geschäftsführer von elevengreen. Das Unternehmen agiert als Schnittstelle zwischen Fußball und Nachhaltigkeit und berät Vereine und Sponsoren bei ihren Nachhaltigkeitsbemühungen. Viele deutsche Profifußballvereine arbeiten mit diversen Konzepten an der Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks. Borussia Mönchengladbach bietet ihren Fans kostenlose Tickets für den öffentlichen Nahverkehr und Shuttle-Service. Borussia Dortmund installierte Ladestationen für E-Autos auf dem Stadionparkplatz. Schalke 04 bietet diverse vegane Essensmöglichkeiten an und sicherte sich im PETA-Ranking bereits zum vierten Mal in Folge den Titel als Vegan-freundlichstes Bundesliga-Stadion. Die TSG Hoffenheim nutzt Regenwasser für die Toilettenspülung, will sogar bald das erste „Zero Waste“-Stadion betreiben und pro Saison bis zu 500.000 Einwegbecher sparen. Mit „Fortuna für alle“ verteilt Zweitligist Fortuna Düsseldorf kostenlose Tickets für Heimspiele und beweist soziale Nachhaltigkeit im profitorientierten Geschäft.

Ungenutzte Dächer

„Verbesserungspotenzial hat die Bundesliga noch bei der Reduktion des CO2-Fußabdrucks“, sagt Corboz. Ein wichtiger Baustein Richtung Klimaneutralität ist Solarenergie, denn viele Vereine haben auf dem Stadiondach viel Platz für Photovoltaik. So besitzt das neue Europa-Park-Stadion des SC Freiburg mit einer 2,4-Mega-Watt-Anlage das weltweit größte Solardach auf einem Fußballstadion. Auch die Heimat von Zweitligist Hertha BSC, das Berliner Olympiastadion, ist ein deutsches Solar-Vorzeigeprojekt: 1614 PV-Module zieren den äußeren Betonring des Stadiondachs. Ausgestattet mit zehn leistungsstarken Sunny Tripower CORE 1 von SMA erzeugt die Solaranlage jährlich bis zu 615.000 kWh Solarstrom und spart bis zu 225 Tonnen CO2 pro Jahr ein. Das deckt etwa ein Zehntel des gesamten jährlichen Strombedarfs und die Energiekosten für Lüftung, Kühlung und Stadionbeleuchtung ab. Mittelfristig soll das System um mehrere Batteriespeicher erweitert werden. Dann steht Solarenergie rund um die Uhr zur Verfügung – selbst für Flutlicht-Matches. „Die Integration einer Solaranlage auf einem Stadiondach wie vom Berliner Olympiastadion zeigt, wie nachhaltige Energieversorgung aussehen kann. Dank seiner exponierten Lage wird das Stadiondach fast den ganzen Tag mit Sonnenlicht durchflutet, die große ungenutzte Fläche bietet einen optimalen Standort für Photovoltaikmodule. Intelligentes Energiemanagement sorgt für die bestmögliche Nutzung des grünen Stroms. Ein tolles Beispiel für das Potenzial von Solarlösungen im urbanen Umfeld“, sagt Jörg Schuster, Sales Engineer bei der SMA Solar Technology AG.

Blick von Olympiastadion in BerlinSolarwatt GmbH
Monteure auf dem Olympiastadion in Berlin bei der Montage von Solarpanelen.Solarwatt GmbH

Die Bundesliga geht voran

Neben all diesen von den Vereinen ausgehenden Klima-Maßnahmen setzt auch der deutsche Ligabetrieb zuletzt einen wichtigen Meilenstein mit einer Strahlkraft für ganz Europa: Die Deutsche Fußballliga (DFL) stellte im Mai 2022 ihre Nachhaltigkeitsrichtlinie vor. Die 1. und 2. Bundesliga sind damit die ersten großen Profifußballligen mit verpflichtenden Regeln. Mit der aktuellen Saison 2023/2024 müssen alle 36 Vereine eine Vielzahl von Mindestkriterien bezüglich ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit erfüllen. Neben der Erstellung eines CO2-Fußabdrucks kommen noch eine jährliche Messung des Wasser- und Energieverbrauchs sowie eine Mobilitäts- und Verkehrsanalyse hinzu. All das wird in der kommenden Saison auf den Prüfstand gestellt und in den folgenden Jahren schrittweise weiter verschärft. Basierend auf den Messzahlen müssen Vereine künftig ihre Klimaziele definieren. „Die Nachhaltigkeitsrichtlinie der DFL ist ein wichtiger Schritt für mehr Nachhaltigkeit, aber ihre Umsetzung stellt viele Vereine vor Herausforderungen. Manche Vereine müssen viel investieren, um die Kriterien zu erfüllen“, sagt Corboz.

Unabhängig von den DFL-Kriterien ragen ein paar Vereine mit ihren ehrgeizigen Umweltzielen heraus: So sind der FSV Mainz, die TSG Hoffenheim, der VfL Wolfsburg, der 1. FC Köln sowie Arminia Bielefeld nach eigenen Angaben bereits klimaneutral – auch dank CO2-Kompensation. Inspirierende Beispiele für andere Fußballligen – und die Gesellschaft, wie Maël Corboz findet:Der Profifußball spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft und hat die Kraft, unsere Gesellschaft auch beim Thema Nachhaltigkeit positiv zu beeinflussen.

„Der Profifußball spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft und hat die Kraft, unsere Gesellschaft auch beim Thema Nachhaltigkeit positiv zu beeinflussen.“

–Maël Corboz, Profifußballer