Intelligente Lösungen fürs Energiesparen

Wie uns Künstliche Intelligenz, Hi Tech-Funktionskleidung und andere smarte Ideen künftig beim Energiesparen unterstützen können
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Text: Anne Pohl, 20.12.2022

Die beste Energie, ist die, die erst gar nicht verbraucht wird. Denn seien wir mal ehrlich: Die Hoffnung, allein auf die Energiewende hin zu erneuerbaren Ressourcen zu setzen, wäre zu kurz gedacht. Ob der Einsatz von KI oder auch neue Wege beim Umgang mit Wärme – der Blick über den Tellerrand zeigt, es gibt spannende Ansätze, um Energie zu sparen. Und selten kamen solche Ansätze zu einem passenderen Zeitpunkt als jetzt.

Das Land im Krisenmodus

Strom und Öl sind so teuer wie nie. Gas ebenfalls und dazu noch mehr als knapp. Keiner will die Heizung anmachen. In Deutschland bereiten wir uns auf einen kalten Winter vor. In deutschen Baumärkten gibt es bereits Engpässe bei Radiatoren und Heizlüftern. Und das Geschenk Nr. 1 in der Rubrik „Küche, Haushalt & Wohnen“ eines bekannten Online-Händlers ist die XXL-Kuscheldecke zum Anziehen, die jede Frostbeule in einen heißen Yeti verwandelt. Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, warnte kürzlich im „Tagesspiegel“ vor einem möglichen Zusammenbruch der Stromnetze im Winter. Auf der bundesweiten Homepage der Verbraucherzentralen haben Tipps zum richtigen Heizen und Lüften und zum Strom- und Warmwassersparen im Haushalt die sonst allgegenwärtigen Warnungen vor Telekombetrügern und Verpackungsschwindlern verdrängt. Und bei YouTube haben „Life-Hacks“ zum Thema Energiesparen Hochkonjunktur.

Die Energieversorgung muss klimaneutral werden

Darüber, dass wir Alternativen zum Gas und anderen fossilen Energieträgern brauchen, sind sich Deutschlands führende Klimaexperten einig. So sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), kürzlich in einem tagesschau-Interview: „Wir müssen wegkommen von den teuren Energien hin zu den Erneuerbaren Energien, denn die senken den Preis – auch an der Strombörse“. Ihr Kollege, der Berliner Professor Volker Quaschning, sprach kürzlich in der Talkshow von Markus Lanz Klartext: „Wollen wir dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klimaschutz gerecht werden, müssten wir im Jahr 2035 eine Energieversorgung haben, die komplett klimaneutral ist, also ohne die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas auskommt. Wo stehen wir momentan? Wir haben nicht mal 20 Prozent Erneuerbare Energien, ein Prozent Kernenergie, der Rest ist Öl, Kohle und Gas. Und wir müssen es jetzt schaffen, in 15 Jahren von diesen 20 Prozent auf 100 Prozent zu kommen. Sonst hat die Krise, die wir jetzt haben, im Vergleich zu dem, was auf uns zurollt, eine ganz andere Dimension“.

Sparen, sparen, sparen!

Ob wir es in 15 Jahren schaffen werden, die Erneuerbaren Energien so auszubauen, dass wir auf fossile Energien verzichten können, steht noch in den Sternen. Bis es so weit ist, müssen wir uns warm anziehen und Energie sparen. Das wird eine Mammutaufgabe nicht nur für Ottilie und Otto Normalverbraucher, sondern vor allem auch für Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen. Laut einer Statista-Studie entfielen von den 999 Terrawattstunden, die 2021 an Erdgas verbraucht wurden, etwa 50 Prozent auf die genannte Gruppe (37 Prozent Industrie, 13 Prozent Gewerbe-, Handel- und Dienstleistungen) und nur etwa 31 Prozent auf Haushalte. Industrie und Gewerbe sind als genauso in der Pflicht wie jede andere Privatperson.

Wenn Maschinen lernen

Weil nahezu alle Produktionsanlagen heute mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet sind, die sämtliche Prozesse kontrollieren, liegt es nahe, diese künftig auch zu nutzen, um Energie einzusparen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) steckt hierzulande zwar noch in den Kinderschuhen, birgt aber enormes Potenzial für die Zukunft. Nehmen wir beispielsweise an, dass eine Steckverbindung schlecht ausgeführt wurde, und der Fehler an einer ganz anderen Stelle in der Elektronik zu Problemen führt. Die zeitaufwändige Fehlersuche kostet im Endeffekt auch Energie. KI-gesteuerte Technik kann dafür sorgen, dass solche Fehler der Vergangenheit angehören.

Bei der Mercedes Benz AG wird KI bereits eingesetzt. Mitte Oktober startete ihre gemeinsam mit Microsoft entwickelte „MO360 Data Platform“: Auf dieser Plattform in der Cloud vernetzt Mercedes-Benz seine rund 30 weltweiten Pkw-Werke, um die Automobilproduktion effizienter, resilienter und nachhaltiger zu machen. „Wir können bei Engpässen in der Lieferkette beispielsweise Ressourcen über unser gesamtes Netzwerk an Produktionsanlagen neu zuweisen, um vorrangig unsere emissionsarmen Spitzenprodukte herzustellen“, sagt Jörg Burzer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG.

Drei Mitarbeiter der PKW-Produktion von Mercedes Benz in der Fertigungshalle vor einem BildschirmMercedes Benz AG
Mit der neuen, zentralen Datenplattform MO360 können Teams Produktionsdaten sofort analysieren und visualisieren.
Mercedes Benz AG

Das bedeutet, teure Stillstände in der Produktion bleiben aus. Und während in den Werken die echten Fahrzeuge vom Band laufen, können die Teams anhand von virtuellen Abbildern die Produktion überwachen. Durch KI verschmelzen die physische und die digitale Welt miteinander. Der positive Effekt: Fertigungsprozesse können virtuell simuliert und verfeinert werden. Optimierte Abläufe sparen Energie. Zudem hilft das KI-gesteuerte Analyse-Tool Mercedes dabei, die CO2-Emissionen, den Energie- und Wasserverbrauch und das Abfallmanagement zu verfolgen und zu optimieren.

Wo sich Tomaten an Biogas wärmen

Künstliche Intelligenz soll künftig auch auf dem Hof des schleswig-holsteinischen Bio-Landwirts Rainer Carstens eine Rolle spielen. In dem 2018 eigens ausgegründeten Unternehmen „Naiture“ tüfteln Wissenschaftler im Auftrag von Carstens an einem Jäteroboter, der unter anderem Möhren und Spinat von unerwünschten Beikräutern unterscheiden kann und so die händische Arbeit von Erntehelfern ersetzen soll.

Westhof Bio

Bio-Landwirt Rainer Carstens vor seiner Biogas-Anlage, die ein 4 ha großes Gewächshaus beheizt.

Landwirt Rainer Carstens steht vor seiner Biogas-Anlageagrarheute

Seit 1989 ist Rainer Carstens Bio-Landwirt. „Mein Antrieb war immer, nachhaltig zu wirtschaften, sparsam mit unseren kostbaren Ressourcen umzugehen und meinen Kindern einmal fruchtbaren und gesunden Boden zu hinterlassen.“ Aus den ursprünglich gut 100 Hektar sind heute über 1000 Hektar geworden. Die bearbeitet er mit seinem Unternehmen, der Westhof Bio-Gruppe, nach Demeter- und Bioland-Richtlinien. Auf dem Dithmarscher Boden wachsen Getreide, Kohl und Gemüse wie Möhren und Erbsen, die zum großen Teil an den Einzelhandel geliefert oder in der unternehmenseigene Bio-Frosterei verarbeitet werden.

Westhof Bio

Außerdem hat Carstens zwei der größten Bio-Gewächshäuser Deutschlands, in denen auf 10 Hektar Tomaten und Paprika gedeihen. Die Energie dafür liefert die hauseigene Biogasanlage. Sie wird mit biologischen Gärstoffen „gefüttert“, die entstehenden Gase werden im Blockheizkraftwerk verstromt. Carstens übergeordnetes Ziel ist, irgendwann völlig energieneutral zu wirtschaften. „Wir bauen gerade eine neue Bio-Frosterei mit einem großen Batteriespeicher. Wenn die Ende 2023 steht, werden wir unser Ziel fast erreicht haben!“ Für sein Engagement und den einzigartigen Energie- und Nährstoffkreislauf wurde er vor kurzem mit dem Ceres-Award der Zeitschrift „agrarheute“ in der Kategorie “Energielandwirt des Jahres” ausgezeichnet.

Smarte Textilien

Die Frage, wie man Energie sparen kann, treibt auch Ralf Ruszynski, Energieberater bei der SMA Technology AG, an. Für den Kasseler Bauingenieur hört das Thema aber nicht nach Feierabend auf – im Gegenteil. Er hat vor einigen Jahren mit Wärmepumpe, Photovoltaikanlage und Elektroauto seine private Energiewende eingeläutet und produziert heute mehr Strom, als er in seinem Haushalt verbrauchen kann. „Wir hatten 2013 noch einen Energiebezug von 30.000 Kilowattstunden für Strom, Gas und Benzin“, erzählt er. „Heute beziehen wir jährlich nur noch 3000 Kilowattstunden Strom, speisen aber 11.000 Kilowattstunden ins Netz ein – das heißt, unser Energiebezug ist um 90 Prozent gesunken!“

In Ruszynskis Homeoffice bleiben wie in allen Räumen im Obergeschoß des 1964 gebauten Hauses seit über 12 Jahren die Heizkörper kalt. Wie das geht? Statt die Räume zu heizen, setzt Ruszynski auf individuelle Klimatisierung. Inspiriert hat ihn das Vorbild Japan: Während hierzulande die Umgebung beheizt wird, in der man sich bewegt, bewegt man sich in Japan zur Wärmequelle hin. Das kann ein Ofen sei oder „Kotatsu“, die seit Jahrhunderten genutzte Tischheizung. Wenn Ralf Ruscynski im Homeoffice am Schreibtisch sitzt, trägt er je nach Außentemperatur Thermokleidung oder sogenannte „smart textiles“, also Hemden und Pullover mit Heizfunktion, dazu warme Einlegesohlen in den Schuhen. „Mir geht es im Arbeitszimmer sehr gut, auch wenn die Raumtemperatur nur zwölf Grad C beträgt“, erklärt Ruszynski. „Das Einzige, was mich interessiert ist, dass an allen Stellen meines Körpers 37 Grad Körpertemperatur herrscht. Sobald das sichergestellt ist, ist mir die Lufttemperatur völlig egal“.

"Wenn an allen Stellen meines Körpers 37 Grad Körpertemperatur herrschen, ist mir die Luftfeuchtigkeit völlig egal" Ralf Ruszynski, Energieberater bei der SMA Solar Technology AG

Die nächste Phase der smarten Textilien wird derzeit am Leibniz-Institut für Photonische Technologien e.V. in Jena erforscht. Zusammen mit dem spanischen Textilhersteller E. Cima haben die dortigen Wissenschaftler ein Material entwickelt, das Körperwärme unter Nutzung thermoelektrischer Effekte in Strom umwandeln kann. Dieser Strom kann dann in einem Akku gespeichert und anderen smarten Anwendungen zur Verfügung gestellt werden.

Raum für neue Ideen

In Zeiten wie diesen wäre es verlockend, einfach den Kopf in den Sand zu stecken und weiterzumachen wie bisher. Wir hoffen, dass unsere Beispiele Sie inspirieren, den Kopf freizumachen für neue Ideen und einmal den Blick über den Tellerrand zu wagen – denn auch mit kleinen Schritten lassen sich große Wegstrecken bewältigen!

Künstliche Intelligenz (KI)

Im Zusammenhang mit der Einsparung von Energie nutzt man in der Regel das sogenannte maschinelle Lernen als Unterdisziplin der KI. Das funktioniert so: Sensoren liefern Daten, aus denen eine Software mithilfe von Algorithmen Gesetzmäßigkeiten erkennt. Diese Gesetzmäßigkeiten machen es möglich, Vorhersagen zu treffen und Prozesse zu optimieren. Neuere Produktionsanlagen sind heute schon mit einer Vielzahl von Sensoren versehen, die rund um die Uhr Daten zu den Produktionsprozessen sammeln. Mit diesen Daten kann ein digitaler Zwilling der Produktionsanlage gebaut werden, der die gesammelten Daten auswerten kann.