Wieviel Not braucht es für den Klima-Notstand?

Ein Aufruf für den Wandel
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Text: Diana Olbrich, 17.07.2020

Mit dem Ausrufen des “Klimanotstands” verpflichten sich weltweit immer mehr Städte und Länder selbst, bei ihren politischen Entscheidungen auf die Klimafolgen zu achten. Wir zeigen, wer schon mitmacht und was so ein freiwilliger Akt bewirken kann.

13. Juni 2009 – Aktivisten in Melbourne demonstrieren anlässlich des jährlichen „Tag der Erde“ gegen den Klimawandel. „CLIMATE EMERGENCY – carbon trading won’t work, 100 % renewable energy will“, steht groß auf dem Banner, der den Protestzug anführt. Es ist das erste Mal, dass im Zusammenhang mit der aktuellen Klimasituation von einem “Notstand” die Rede ist.

Wirklich bekannt wird der Begriff „Klimanotstand“ aber erst durch die Londoner Umweltbewegung Extinction Rebellion und durch deren Proteste im November 2018. Seitdem gewinnt er immer mehr an Popularität. Bis heute haben 1.488 Städte, Gemeinden und Institutionen in 30 Ländern den “Klimanotstand” ausgerufen, darunter Großbritannien, Kanada, Spanien und Irland.

Was bedeutet „Klimanotstand”?

Der „Klimanotstand” soll zeigen, dass eine Kommune oder eine Regierung den Klimawandel ernst nimmt und Maßnahmen für den Klimaschutz einleitet. Das Ziel: Auf der Erde sollen die Temperaturen möglichst nicht höher steigen als um 1,5 Grad.

Was passiert weltweit?

Auch mehr als 11.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen Flagge. In der Zeitschrift BioScience veröffentlichten sie Anfang November 2019 eine Erklärung, die auf die globale Tragweite des Klimawandels hinweist, und riefen gemeinsam den globalen „Klimanotstand” aus.

Länder, Kommunen, Städte, Wissenschaftler sprechen sich mit der Ausrufung des „Klimanotstands” öffentlich für mehr Klimaschutz aus. Doch was hat sich seitdem getan? Wir werfen einen Blick auf die Entwicklungen in den Ländern.

Deutschland

Von Konstanz bis Kiel – immer mehr Gemeinden in Deutschland rufen den „Klimanotstand” aus. Deutschland selbst hat jedoch landesweit noch keinen derartigen Beschluss gefasst. Als erste Stadt ging im Mai 2019 Konstanz voran. Seitdem heißt das: Alle Entscheidungen der Stadt werden daraufhin überprüft, wie sie sich aufs Klima auswirken. Das bedeutete beispielsweise den Umbau von Autospuren zu Radwegen, die Förderung von klimaneutralen Gebäuden und Solaranlagen, das Pflanzen zusätzlicher Bäume oder höhere Parkgebühren in den Innenstädten. Langfristig soll das Ziel sein, durch klimaneutrale Energieversorgung und Sanierung bestehender Gebäude den CO2-Ausstoß pro Person bis 2050 um 75 Prozent zu reduzieren. Auch Erlangen, München, Karlsruhe und Köln gehören beispielsweise zu den Städten, die den „Klimanotstand” ausgerufen haben. Sie alle haben ähnliche Maßnahmen geplant und wollen schrittweise den CO2-Ausstoß senken. Kritiker sagen jedoch, dass in den meisten Orten zu wenig passiert. Das zeigt sich auch in einer Umfrage der Deutschen Presse Agentur. In den meisten Städten steht die Umsetzung vieler Forderungen noch aus.

Australien

Als das Land, in dem alles begann, zählt Australien bis heute zu den Vorreitern in Sachen „Klimanotstand”. Hier wurden die ersten Klimanotpläne verabschiedet. Angefangen im August 2017, als der Stadtrat von Darebin ein Maßnahmenbündel unter dem Namen „Darebin Climate Emergency Plan“ beschloss. Insgesamt haben in Australien seither rund 100 Städte und Gemeinden, die 8 Millionen Menschen – ein Drittel der australischen Bevölkerung – repräsentieren, den „Klimanotstand” ausgerufen.

Am Beispiel Darebin, einem ca. 160 000 Einwohner zählenden Vorort von Melbourne, kann man sehen: Es kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. Bisher konnte die Stadt schon einige erfolgreiche Projekte aufweisen. Zusammen mit den Schulen, der Wirtschaft und den Gemeinden rief Darebin beispielsweise das sogenannte „Solar-Saver“-Programm ins Leben, das für 500 Rentnerhaushalte und solche mit niedrigem Einkommen Solaranlagen bereitstellte. Andere Haushalte wurden mit Fensterläden und einem Wetterschutz versehen, um die Energiekosten zu senken. Mit der Arbeit für energieeffizientere Gebäude sparten sie umgerechnet bereits knapp 800 000 Euro ein. Und Darebin hat noch mehr Ziele: Unter anderem soll eine Darebin-Energie-Stiftung für mehr nachhaltiges und sinnvolles Handeln gegründet werden, die Treibhausgas-Emissionen beseitigt und die Menge an produzierter Solarenergie durch ein erweitertes Solar-Saver-Programm von 19.000 kW auf 38.000 kW verdoppelt werden.

Europa

Als eine der wichtigsten Institutionen weltweit rief das EU-Parlament am 28. November 2019 den „Klimanotstand” für Europa aus. Und steckte sich damit hohe Ziele: Die EU hat sich laut dem Parlament damit verpflichtet, die CO2-Emissionen bis 2030 stark zu senken, damit Europa bis spätestens 2050 klimaneutral wird. Auch die EU-Länder und die EU-Kommission rief das Parlament damit auf entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und zu gewährleisten, dass alle neuen Vorschläge mit dem Ziel übereinstimmen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Mit dem Green Deal, einer Art Masterplan, der nur einige Wochen später von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde, zeigte sich die Kommission auf einem ähnlichen Kurs. Auch einzelne Länder der EU hatten zuvor schon den „Notstand” deklariert, darunter Spanien, Frankreich und Großbritannien.

Symbolischer Akt oder spürbarer Wandel?

Es wird viel darüber gestritten, ob und inwiefern die Erklärung des „Klimanotstandes” wirklich Veränderung mit sich bringt. Denn jede Stadt, jedes Land entscheidet selbst, was es unter „Klimanotstand” konkret versteht und welche Maßnahmen es ergreifen will. Der „Klimanotstand” ist nämlich rechtlich nicht bindend, nur ein Signal, eine Absichtserklärung. Doch genau diese Absichtserklärung, dieser erste Schritt in die richtige Richtung, ist seit den Demonstrationen 2009 ein Gewinn in den Augen der Protestierenden. Noch heute fordern sie Regierungen dazu auf, den „Notstand” auszurufen, um gegenüber der Gesellschaft und anderen Regierungen ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, das Bewusstsein für den Ernst der Lage schafft und auch andere zum Handeln anregt.

Das Klimabündnis, ein Netzwerk von knapp 2000 Städten aus 26 Ländern, macht in einer Analyse auf einige kritische Punkte aufmerksam: Zum einen sei in den Absichtserklärungen meist die Frage der Finanzierung überhaupt nicht geklärt. Es würden nur sehr selten ausdrücklich finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. „Klimaschutz wird jedoch erst dann effektiv, wenn die notwendigen Mittel bereitgestellt werden und in die Zukunft investiert wird”, appelliert das Bündnis. „Wir sind bereits von den Folgen des Klimawandels betroffen. Eine Anpassung an diese Änderungen ist immer öfter keine Option, sondern ein Muss. Dieser wichtige Aspekt kommt in Notstandserklärungen trotz der Brisanz so gut wie gar nicht vor“, heißt es dazu. Immerhin seien beispielsweise in Österreich im Jahr 2018 bereits mehr Menschen an Folgen der extremen Hitze gestorben als im Straßenverkehr, verdeutlicht das Klimabündnis die Lage und fordert implizit, dass den Worten auch Taten folgen müssen.

Mehr als 11.000 Wissenschaftler fordern, den „Klimanotstand” auszurufen, und nur 69 Gemeinden in Deutschland ziehen mit? Da geht noch mehr. Denn ist es ganz einfach selbst aktiv zu werden und den Klimaschutz in seiner eigenen Gemeinde auf die Agenda zu setzen – damit in kleinen Schritten etwas in Bewegung kommt.