Net Zero Homes

Der Weg zum CO2-neutralen Eigenheim
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Text: Birgit Scheuch, 25.05.2021

Der erste Teil unseres Beitrags hat die Ausgangslage in Bezug auf „klimaneutrales Bauen“ und die Voraussetzungen für das Net Zero-Eigenheim beschrieben. Der klimaneutrale Betrieb eines neuen Einfamilienhauses ist möglich, die Mehrkosten im Vergleich zu einem Neubau nach dem aktuellen Effizienzstandard sind im Schnitt nach 10 bis 15 Jahren hereingeholt. Spannend wird es, wenn sich die Klimaneutralität nicht nur auf den Gebäudebetrieb, sondern auch die Emissionen der gesamten Bautätigkeit beziehen soll.

Fit für 2050 – Bauen ohne negative Auswirkung auf Klima

Bei einem faktisch klimaneutralen Gebäude muss die für Rohstoffabbau, Baustoffherstellung, Transport und Errichtung benötigte „graue Energie“ später rechnerisch und real ausgeglichen werden. Als wichtige Stellschrauben nennt Wolfgang Stumpf vom Department für Bauen und Umwelt an der Donau-Universität Krems die Reduktion des Energiebedarfs, die Nutzung von Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien und die Einspeisung von Strom und Abwärme ins Netz.

Dazu kommt das Teilen von klimafreundlichem Strom über ein Mikronetz: „Sie geben hier Überschussenergie aus Ihrer Photovoltaik an die Nachbarn weiter, ohne das Übertragungsnetz zu belasten; der Produzent erhält eine Gutschrift. Dafür braucht es auf beiden Seiten Smart Meters, einen Abnahmevertrag und die gesetzliche Möglichkeit, dieses Geschäft zu vereinbaren. Das EAG – das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz, das noch 2021 in Kraft treten soll, wird es in Österreich deutlich erleichtern, den selbst, privat oder in einem Gewerbebetrieb produzierten Strom und auch Abwärme mit Verbrauchern zu teilen.“

Weil bei einem konventionell hergestellten Gebäude der Ausgleich der Emissionen über Jahrzehnte schwierig ist, selbst wenn es sehr viel mehr erneuerbare Energie produziert als seine Bewohner verbrauchen, sollte bereits die Konstruktion klimafreundlich sein. Und das heißt für Wolfgang Stumpf: „Erstens Ressourcenbedarf reduzieren, indem suffizient, verdichtet, integriert, lokal und regional vernetzt gebaut wird. Zweitens effizient bauen, mit kurzen Bauzeiten und fehlertoleranten Konstruktionen. Bei den Materialien müssen wir weniger Zement hineingeben und mehr mit ökologischen Bau- und Dämmstoffen bauen und mit recycelten und recyclingfähigen Materialien. Also zum Beispiel den Dachstuhl abmontieren und für ein neues Haus verwenden.“ Als Häuslebauer mit beschränktem Budget ist es gut, die breite Palette der Optimierungsmöglichkeiten zu kennen – und sich für eine individuell passende Kombination zu entscheiden.

Nutzung von Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien.

Strategie Nummer 1: Weiterdenken

Faktor Zeit: „Hundert Jahre“, erklärt Wolfgang Stumpf, „nehmen wir an, dauert es, bis zuvor emittiertes CO2 in der Atmosphäre wieder abgebaut ist. Also sollten wir dafür sorgen, dass ein Haus hundert Jahre genutzt wird. Unsere Gründerzeithäuser hier in Wien sind jetzt hundert Jahre alt, damit haben sich die Emissionen aus der Herstellung und Errichtung egalisiert. Schlecht ist nur, wenn sie mit fossiler Energie betrieben werden.“

Faktor Mobilität: Der Standort eines neu erbauten Hauses ist ein wesentlicher Faktor in der Klimabilanz eines Hauses. Wie sieht es mit dem öffentliche Nahverkehr aus? Ist der Supermarkt in Fußnähe oder mit dem Rad zu erreichen? Für wirklich klimaneutrales Wohnen müssen diese durch persönliche Mobilität ausgestoßenen Treibhausgase mitkalkuliert werden.

„Wir können so effizient bauen, wie wir wollen, jede menschliche Aktivität verbraucht Ressourcen und hat Emissionsfolgen.“

Strategie Nummer 2: Maß halten

Ein weiteres Schlagwort im aktuellen internationalen Diskurs lautet Suffizienz: „Wir können so effizient bauen, wie wir wollen, jede menschliche Aktivität verbraucht Ressourcen und hat Emissionsfolgen. Also frage ich mich erst einmal: Muss ich wirklich neu bauen?“, empfiehlt Joost Hartwig.

Lautet die Antwort ja, stellt sich die Frage, was angemessen ist. „Menschen, die neu bauen – in meinem privaten Umfeld beobachte ich das auch – gehen meist an ihr Limit und versuchen alle Eventualitäten abzudecken. Ein, zwei, drei Kinder mit eigenem Zimmer, ein Arbeitszimmer, die Pflege eines Elternteils, das gibt ganz schnell Häuser mit 160, 170 Quadratmeter, da leben Sie dann nach vielleicht 15 Jahren nur noch zu zweit oder es gibt eine Scheidung und einer lebt dann allein auf 160 Quadratmetern. Und die anderen die ausziehen, sind ja nicht weg, die brauchen ja auch Wohnraum. Wenn ich ein Einfamilienhaus 20 Prozent kleiner baue, dann ist das ein Riesenhebel, der mich erstmal gar nichts kostet und mit einem guten Architekten wird das nicht mal jemand merken, dass das Haus kleiner ist.“

Bei der Planung der tragenden Wände über spätere Nutzungsszenarien nachzudenken, kostet auch nichts und reduziert später aufwendige Umbaumaßnahmen. Wolfgang Stumpf am Beispiel der Wiener Gründerzeithäuser: „Interessant ist, dass die Grundstruktur dieser Häuser nutzungsneutral ist: Was einst als Wohnbau gedacht war, wird heute als Kanzlei, Praxis oder Büro genutzt – und das funktioniert auch.“

Auf der Betriebsebene rät Joost Hartwig, möglichst passive Systeme einzuplanen, also möglichst nichts, das das selbst Energie verbraucht. Konstruktive Lösungen wie die Nutzung der Decken als thermischer Speicher haben Vorrang vor aufwendiger Haustechnik. Denn auch der Strom für deren Betrieb muss ja erst einmal erzeugt werden. Hier stellt sich die Frage: Was empfinde ich (nicht der angenommene Durchschnittsbewohner) als Komfort? So funktioniert laut Jörg Finkbeiner das Schwarzwald-Holzhaus des auf Cradle-to-Cradle spezialisierten Architekturbüros Partner & Partner ganz wunderbar ohne Lüftung. „Das ist Low-Tech-Komfort.“

© Partner und Partner Architekten
„Das Schwarzwald-Holzhaus des Architekturbüros Partner & Partner funktioniert ganz wunderbar ohne Lüftung.“
© Partner und Partner Architekten

Strategie Nummer 3: Gebraucht kaufen

„Wir sind große Fans des Bestandsumbaus.“, sagt Joost Hartwig. „Das heißt, sich nach einer baulichen Struktur umzuschauen, die ich weiternutzen kann. Wenn ich modernisiere, kann ich viel CO2 sparen, das in der Primärkonstruktion, also im Tragwerk, in den Wänden und Decken gebunden ist, indem ich die Nutzung verlängere.“

„Ich würde behaupten, dass Sie in den meisten Bestandsgebäuden räumliche Qualitäten erreichen können, die mindestens so gut sind wie ein Neubau. Das kann ich natürlich nicht im Katalog bestellen und brauche etwas Fantasie oder einen Planer, der mir dabei hilft.“

„Allerdings ich bin nicht vor Überraschungen sicher. Das ist für viele abschreckend. Jeder Handwerker der reinkommt, sagt erstmal oh, oh, oh, und ojeh. Dann ist oft der Impuls: Reißen wir‘s ab, dann wissen wir, was wir haben. Unter Ökologieaspekten ist das natürlich das totale Desaster.“

Strategie Nummer 4: Nachwachsende Rohstoffe verwenden

„Für alles was ich neu baue oder ergänze, sind nachwachsende Rohstoffe die erste Wahl.“, sagt Joost Hartwig. „Holz ist ja an sich schon eine CO2-Senke, weil der Baum beim Wachsen CO2 aufgenommen hat.“ Daher steht es in der Ökobilanz auf der klimapositiven Seite.

Wenn hingegen eine Dämmung zur Erfüllung hiesiger Effizienzstandards anderswo bei der Herstellung massenhaft Treibhausgase freisetzt, ist das global gesehen eine Milchmädchenrechnung. Das sollte jedem auch ohne detaillierte Ökobilanz einleuchten. Der im benachbarten Bundesland produzierte Hanf und regional abgebaute Lehm schneiden in jeder Hinsicht besser ab. „Leider“, bedauert Joost Hartwig, gibt es keine Bundesförderung dafür, dass Sie Holz oder Ähnliches verbauen.“

Strategie Nummer 5: Das Thema delegieren

Wo überraschenderweise viel Holz verbaut wird, ist im Fertigbau. „Dort ist der Druck zur günstigen Produktion groß.“, erklärt Joost Hartwig. „Deshalb bauen viele der Hersteller Holzkonstruktionen, weil sie die gut vorfertigen können.“ Insofern ist hier Massenproduktion tatsächlich ein klimapositiver Hebel. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen hat eine ganze Anzahl an Fertighaus-Produkten serienzertifiziert, einige erreichen sogar den DGNB-Silber-, Gold- oder Platinstandard. Fertighäuser sind also besser als ihr Ruf.

Strategie Nummer 6: Vom Ende her denken

Natürlich denkt jemand, der gerade ein Haus baut, nicht gern über dessen Ende nach. In Bezug auf das Klima ist aber genau das ein Schlüsselmoment. Auch die Demontage, der Abtransport und die Entsorgung von Baumaterial emittieren Treibhausgase. Wiederverwertbare Bauteile und Materialien hingegen wirken emissionsausgleichend, weil das gebundene CO2 bleibt, wo es ist. „Also zum Beispiel kann man den Dachstuhl abmontieren und für ein neues Haus verwenden.“, sagt Wolfgang Stumpf. Oder eine Nummer kleiner gedacht: „Anders beim üblichen Fließestrich lassen sich beim Trockenestrich aus Bauplatten Wasser- und Heizungsrohre beim Abbruch oder der Sanierung vom Boden trennen.“

In einem von der Forschungsinitiative Zukunft Bau unterstützten Projekt an der Technischen Universität Dresden entsteht übrigens zurzeit ein von der Fassade bis zum Wasserhahn demontierbares Musterhaus.

Strategie Nummer 7: Wiederverwenden

„Wenn das nun gar nicht passt, und ich teilabreißen muss, dann ziehe ich eine Weiternutzung in Betracht. Vielleicht kann ich Dinge als Baustoff oder Bauelement weiterverwenden. Also nicht alles einfach zur Deponie fahren oder verbuddeln.“, sagt Joost Hartwig.

Ganze Häuser aus Recyclingmaterial zu bauen, wäre natürlich ideal fürs Klima. Weil die Zulassung von Recycling-Baustoffen und vor allem ganzen Bauteilen aber eine riesige Herausforderung ist, gibt es bisher nur wenige Fallstudien und Expert*innen wie Ute Dechantsreiter. Sie ist Initiatorin der Bauteilbörsen in Deutschland und forscht zur Wiederverwendung von Bauteilen und Kreislaufwirtschaft im Bauwesen.

Strategie Nummer 8: Anders ausgleichen

„Als letzter Schritt, wenn trotz aller Ausgleichsmaßnahmen noch CO2-Emissionen übrig bleiben, gibt es die Möglichkeit, seriöse Zertifikate zu erwerben.“, weiß Wolfgang Stumpf. Der Ausgleich geschieht hier über die Einsparung von CO2 an anderer Stelle. „Zum Beispiel durch die Aufforstung von Bäumen oder die Umstellung eines mittelamerikanischen Ölkraftwerks auf Windenergie.“

Bleiben noch all die Maßnahmen, die auf unterschiedliche Weise zur Verbesserung der Klimabilanz beitragen. Fassadenbegrünung oder Vertical Gardening, ein Gründach aufs Nebengebäude, Regenwasseraufbereitung, ein Permakultur-Garten vor der Haustür – ganz nach Be- und Vorlieben.

Letzten Endes bietet der Bau eines Hauses unendlich viele Möglichkeiten, sich für das Klima stark zu machen. Das Wissen, die Technologien und Baustoffe gibt es. Von der Erzeugung der eigenen Energie bis zum Ausgleich aller Emissionen ist jeder Schritt ein Schritt in die richtige Richtung. Da geht noch was im Sinne der Klimaziele!

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