Dreimal regenerativ
O, schaurig war es, über das Moor zu gehen, als die deutsche Dichterin Annette von Droste-Hülshoff 1842 ihre berühmten Zeilen schrieb. Doch die Zeiten, wo in Gedichten Moore purpurschwarz klafften und das Wasser dunkel gähnte, sind längst vergangen. Neuerdings zeichnet sich in Deutschland eine Trendwende ab: Immer wieder outen sich Menschen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft als Fans der Feuchtgebiete – wegen deren großer Bedeutung für die Klimaziele. Wir schauen in das Bundesland Niedersachsen, wo ehemalige Moore erste Auftritte als CO2-speichernde Energiestandorte haben.
Heute wissen wir allerdings, dass Moore fantastische Kohlenstoffsenken sind – solange sie unter oder im Wasser stehen. Werden sie trockengelegt, löst sich der seit Jahrtausenden darin gebundene Kohlenstoff. Die Kohlenstoffsenke wird zur Treibhausgasschleuder. Etwa vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen – doppelt so viel wie die des kommerziellen Flugverkehrs – gehen auf das Konto von ehemaligen Mooren.
Deshalb erlebt das Moor seit einigen Jahren in der politischen Debatte einen Aufschwung. Globale, europäische und nationale Moorschutzstrategien wurden formuliert und propagiert. Es müssten möglichst viele der ehemaligen Moore unter Wasser gesetzt (in der Fachsprache „wiedervernässt“) werden, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Das Problem: Wer wird schon landwirtschaftlich nutzbaren Boden abtreten, um „nichts“ damit anzufangen? Alternative Landnutzungskonzepte neben der klassischen Wiedervernässung sind bisher wiederum zu wenig erprobt.
„Aus meiner, also vor allem Klimaschutz-Sicht bietet Moor-PV eine wirtschaftliche und damit in relevantem Umfang umsetzbare Nutzung wiedervernässter Moorböden – wenn das Potenzial von Gebäuden und versiegelten Flächen erschöpft ist. Moor-PV bietet ein hohes Emissions-Einsparungspotenzial, zu geringen Kosten für die Allgemeinheit. Eine Planung im engen Austausch mit Naturschutzbehörden und -verbänden ermöglicht zudem Synergien in Bezug auf Flora und Fauna. Dazu müssen allerdings alle Akteure an einem Strang ziehen und Forschungsvorhaben im Bereich Moor-PV intensiviert werden.“
– Dr. Arndt Piayda, Thünen Institut für Agrarklimaschutz
Besonders brisant ist das Thema in Niedersachsen, dem größten deutschen Bundesland mit dem bundesweit höchsten Anteil an Moorflächen. Von den rund 400.000 Hektar Moorfläche werden dort fast drei Viertel land- oder forstwirtschaftlich genutzt. Gesucht sind also Nutzungsszenarien für die betreffenden Flächen – davon viele in Privatbesitz – die eine wirtschaftliche Alternative darstellen. Ein Szenario heißt „Moor-Photovoltaik“, also der Erzeugung von Solarstrom auf Moorböden, die im selben Zuge durch Wiedervernässung regeneriert werden. Wie sie ihre Moorböden schützen und weiterhin ihr Einkommen sichern können – damit beschäftigen sich derzeit einige Bauern aus dem Landkreis Cuxhaven.
Dort befinden sich 37 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen auf Moorböden. „Viehhaltung und Futtermittelproduktion.“, erklärt Ulf Larschow von der EE-Plan GmbH. Das Unternehmen plant elektrische Energiesysteme und begleitet Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Aktuell ist es mit der Planung zweier Moor-PV-Anlagen beauftragt. „Vor zehn Jahren waren das die ertragsreichsten Milchstandorte Deutschlands. Hier gibt es Kühe mit 11 000 Liter Milchleistung pro Kalb, dieses Land bringt pro Hektar 4000 Euro Gewinn.“
Ulf Larschow, Geschäftsführer der EE-Plan GmbH – wohnt mit seiner Familie in seinem selbst geplanten Passivhaus mit einem Energiebedarf von weniger als 15 kWh pro Quadratmeter und Jahr.
Tafelsilber unter Wasser
Gleichzeitig emittieren solche Flächen nach Daten des Thünen-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei – zwischen 30 und 50 Tonnen Treibhausgase pro Jahr und Hektar. „Die Auswirkungen sind mit bloßem Auge zu erkennen: Hier am Standort hat das Hochmoor in den letzten hundert Jahren rund 1,20 Meter an Höhe verloren; es ist quasi in sich zusammengefallen.“, sagt Ulf Larschow, „Und das hängt unmittelbar mit dem abgesenkten Wasserstand der Hochleistungsmilchwirtschaft zusammen.“
Wenn jetzt die Bundesregierung über Moorschutzstrategien nicht mehr nur nachdenkt, sondern klimafreundlichere Bewirtschaftungsformen fordert, wird aus der latenten Sorge dieser Landwirte handfeste Existenzangst. Ein Verbot von Neubauten ist im Gespräch, was die Vergrößerung von Betrieben ausschließen würde. Kredite sind für solche Vorhaben kaum mehr zu bekommen.
Alle wissen: Unter Klimaaspekten hat die intensive Landwirtschaft auf ehemaligen Mooren keine Zukunft. Ein Teil der Landwirte und ihrer Verbände fürchtet eine „schleichende Enteignung“, pocht auf die Tradition und verwehrt sich gegen staatliche Einflussnahme.
In der Samtgemeinde Land Hadeln hingegen In der Samtgemeinde Land Hadeln hingegen hat eine Handvoll Andersdenkender Gesellschaften zur Entwicklung zweier Moor-PV-Standorte gegründet: die Interessensgemeinschaft IG Neue Energien Ahlen-Falkenberg Süd GbR für das Ahlenmoor in Ahlen-Falkenberg und die IG Bovenmoor.
Ulf Larschow findet das „superspannend, weil das Projektentwicklung von innen heraus ist. Da kam kein Investor mit einem fertigen Plan.“ Diese landwirtschaftlichen Flächen seien das Familiensilber. Es an eine Naturschutzstiftung zu verkaufen, um dadurch andere Eingriffe in die Natur bilanziell auszugleichen, war für seine Mitstreiter:innen keine Option. Also arbeiten sie sich nun in die für fast alle Beteiligten unbekannte Materie ein.
Ökosystem verstehen und schützen
Die beiden Moor-PV-Standorte im Land Hadeln sind sehr unterschiedlich – ein Hochmoor, ein Niedermoor (siehe Infobox). Das Ahlenmoor, wo nie Torf abgebaut wurde, liegt sehr hoch – drei bis vier Meter über den anderen Landschaftsteilen. „Um diese Fläche wiedervernässen zu können, müssen wir um die 255 Hektar einen Wall aus verdichtetem Torf aufhäufen.“, erklärt Ulf Larschow.
Mit herkömmlichen PV-Gestellen könnten sie dort nicht arbeiten, sagt er, „die Module bekommen wir im Torf nicht verankert. Und wenn wir den Torfkörper dieser höhergelegenen Wanne durchstechen, würden wir quasi einen Ablauf schaffen und das Moor entwässern.“
„Also werden wir mit schwimmenden PV-Anlagen arbeiten. Sie werden teilweise im Wasser liegen, teils herausragen, aber wenn wir mit lichtdurchlässigen Glas-Glas-Modulen arbeiten, kommen die Moose, die das Hochmoor bedecken und bilden, nach unserer Einschätzung damit klar. Anders als eine auf einem Gewässer schwimmenden Floating-PV müssen wir sie nur vereinzelt mit Seilen verankern.“
Die zweite Moor-PV-Anlage, soll auf einem 330 Hektar großen Niedermoor entstehen, dem Bovenmoor. Auf der zwar nassen, aber nicht unter Wasser stehenden Oberfläche wächst Gras, das mit Wasserbüffeln oder bestimmten Schafrassen beweidet oder gemäht wird. Doch hier ist die Torfmächtigkeit sehr unterschiedlich. „Wir müssen untersuchen, wie tief das Moor ist – einen halben Meter oder sieben bis acht? Wo das Moor flach ist, können wir mit konventioneller Gestelltechnik, also Rammpfosten, arbeiten. Das schadet dem Moor nicht, denn es steht im Grundwasser. Wo es sehr mächtig ist, arbeiten wir auch mit einer schwimmenden Anlage.“
Klimaschutz und Energiewende supereffektiv verbinden
All das sei sehr aufwendig, sagt Ulf Larschow, allein für die Planung sind drei bis sechs Jahre veranschlagt. Möglich ist die Finanzierung unter anderem durch den Verkauf von Klima- und Naturschutz-Zertifikaten für die Renaturierung von Mooren. Das könnte beispielsweise in Kooperation mit der NABU-Stiftung geschehen, die ohnehin eine Nachbarfläche (ohne PV) als Bilanzfläche renaturiert. Und drittens die Erzeugung von grünem Strom, für den es schon jetzt potenzielle Abnehmer aus dem Umfeld des Landesbauernverbands und des Einzelhandels gibt.
„Dass wir hier wirklich Energiewende und Klimaschutz super effektiv miteinander verbinden können“, nennt Ulf Larschow als einen Beweggrund für sein Interesse an dem recht neuen Thema. Und: „Erneuerbare Energie findet immer draußen statt, bei der Planung bewegen wir uns immer im landwirtschaftlichen Kontext“, so ein Fazit aus seiner rund zwanzigjährigen Branchenerfahrung. „Ich hatte keine Lust, mich anzulegen, wollte zusammenarbeiten. Also habe ich den Draht zum Bauernverband gesucht, so kam es auch, dass ich hier hinzugezogen wurde.“
Und im Land Hadeln lautet die Devise ohnehin „aufeinander zugehen“. Willkommen sind Dienstleister:innen und Investor:innen, die mit den Grundeigentümer:innen und den Energiegenossenschaften vor Ort partnerschaftlich zusammenarbeiten wollen. Unter Berücksichtigung der angrenzenden Naturschutzgebiete und eines Naherholungsgebiets sollen die Solarparks in Landschafts- und Erlebnisparks integriert werden – was die Lebensqualität in der Region erhöhen und touristische Perspektiven eröffnen würde. Ulf Larschow ist überzeugt: „Solches Mitdenken wissen von Naturschutzbehörde bis Anwohner:in alle zu schätzen.“