Spielerischer Klimaschutz
Der Mensch liebt das Spielen. Videospiele erobern die Welt im Sturm, laut Newzoo Global Games Market Report zocken weltweit über drei Milliarden Menschen. Doch der digitale Eskapismus hinterlässt einen gewaltigen CO2-Fußabdruck. Die Industrie denkt um.
Als 1972 digitales Tischtennis millionenfach auf den Flimmerkisten dieser Welt lief, ahnte noch niemand etwas. Doch der Atari-Klassiker PONG legte den Grundstein für eine globale Multimedia-Industrie, die 50 Jahre später mehr Umsatz machen wird als die Musik- und Filmindustrie zusammen – vor allem mit Mikrotransaktionen in Games und Apps. Gaming hat sich in den wenigen Jahrzehnten seit PONG und Pac-Man immens weiterentwickelt und in Sachen Grafik, Gameplay und Immersion eine Menge Power-Ups gesammelt und Quantensprünge vollbracht. Die Gaming-Branche ist ein globaler Riese und so vielfältig wie ihre Spielereien. Auf dem Smartphone oder der Handheld-Konsole für unterwegs, dem klassischen Konkurrenz-Double Playstation und Xbox, dem High-End PC oder gar die Virtual Reality – der spielerische Eskapismus kennt kaum noch Grenzen. Gaming ist ein Massenphänomen und integraler Bestandteil der Popkultur, für Milliarden Menschen weltweit.
Ein unberechenbarer Fußabdruck
Doch es gibt da auch noch eine andere Seite: Die Flucht aus der Realität hat ihren Preis, denn Gaming verursacht CO2. Ein globaler Fußabdruck lässt sich kaum bestimmen, weil zu viele unterschiedliche Faktoren in die Gleichung mit reinspielen. Wird auf einem Smartphone gezockt – oder auf PC? Gemütlich allein auf der heimischen Couch – oder zusammen im Team übers Internet? Auf einer Spieledisk – oder per Download? Auch der Strommix fällt mit ins Gewicht und macht klar: Die CO2-Rechnung ist zu komplex. Klar ist jedenfalls, dass die Branche und Gaming an sich umweltfreundlicher werden muss, damit das Klima bei all dem Spielspaß nicht auf der Strecke bleibt.
Playing for the planet
In der Verantwortung stehen vor allem die „Big 3“ Nintendo, Sony und Microsoft. Sony will wie Nintendo bis 2050 klimaneutral werden. Microsoft will schon 2030 so weit sein, gar wasserpositiv sein und den Betrieb bis 2025 komplett auf Photovoltaik und Windkraft umstellen. Die drei Gaming-Giganten unterzeichneten die freiwillige Verpflichtung efficient gaming, um Spielekonsolen so energieeffizient wie möglich zu gestalten. So hat Microsoft zum Beispiel 2021 per Update „den Energiesparmodus der Xbox Series S und Series X verbessert, er verbraucht etwa 20-mal weniger Strom als der Standby-Modus,“ so Dave McCarthy, Corporate Vice President Xbox Operations. Ein vergleichsweise kleiner Schritt, der in der Summe aber einiges ausmachen kann.
Andererseits sind Microsoft und Sony Teil der Playing for the Planet Alliance. Die rechtlich bindende Umweltagenda zwischen 44 Mitgliedern der Gaming-Branche und den Vereinten Nationen entstand 2019 im Rahmen des New Yorker Klimagipfels. „Mit dem Beitritt zur Allianz sind Spielestudios spezifische und messbare Verpflichtungen eingegangen“, steht es auf der Website. Im Fokus steht ein Miteinander, nicht das Gegeneinander. Der Plan: CO2 schrittweise reduzieren, in Klimaschutz, Photovoltaik und Windkraft investieren und das Umweltbewusstsein der Gaming-Community schärfen – zum Beispiel mit regelmäßigen Klima-Events in den jeweiligen Games.
Gaming auf Wolken
Ambitionierte Pläne und der Weg zu einer Art Green Gaming scheint klar: Mehr Digitales wagen und auf erneuerbare Energien umsteigen. Also einerseits weg vom physischen Datenträger und hin zu digitalen Daten – also weniger Spieledisks sowie Konsolen und dafür mehr Downloads und Streaming. Anbieter wie Google, Amazon, Sony und Microsoft setzen mit dem sogenannten Cloud Gaming darauf, dass Gamer ihre Lieblingsspiele ohne hochmoderne Hardware spielen können.
Genau das ist der Clou der Cloud: Jedes erdenkliche Spiel wird auf dem Smartphone, Tablet oder TV spielerisch leicht gestreamt. Nicht das Spielgerät erbringt die Rechenleistung, sondern die Online-Cloud, eine Armada aus Serverzentren. Perspektivisch fallen so immer mehr Emissionen für die Hardwareproduktion weg, aber es braucht auch eben mehr grüne Energie fürs Streaming. „Bis 2025 wechseln unsere Cloud-Datenzentren zu 100 Prozent auf die Versorgung durch erneuerbare Energie – dementsprechend profitiert auch Cloud-Gaming“, beschreibt Dave McCarthy von Xbox die Cloud-Strategie.
Auch bei anderen Cloud-Anbietern laufen viele Rechenzentren bereits mit grünem Strom oder werden je nach Standort besonders kreativ mit arktischer Luft oder Meerwasser gekühlt. Microsoft arbeitet seit Jahren an Unterwasser-Rechenzentren, die im Meer in der Nähe von Ballungszentren für zusätzliche Cloud-Power sorgen sollen. Island gilt als Insel der grünen Cloud, da dort die Server klimaneutral laufen – Geothermie und Wasserkraft sei Dank. Für sein Cloud-Angebot investiert Google allein in Deutschland eine Milliarde Euro in Photovoltaik-Anlagen und energieeffiziente Rechenzentren, um ab 2030 emissionsfrei unterwegs zu ein. Der lokale Energiepartner ENGIE will für diese Rechnung mehr als 140 Megawatt (MW) Solar- und Windenergie beisteuern – dank einer neuen Photovoltaikanlage mit 39 Megawatt Leistung und 22 Windparks in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Schritt für Schritt ins nächste Level
Bis zum emissionsfreien Gaming ist es noch ein langer Weg, doch er wird an vielen Stellen schon gepflastert. Was die großen Player 2030 oder sogar erst bis 2050 umsetzen wollen, haben kleine Softwarestudios und Publisher schon eher im Blick: Entwickler wie Supergiant Games („Hades“), Amanita Design („Ori and the blind forest“) Thatgamecompany („Journey“), das weltbekannte Animationsstudio Studio Ghibli oder Publisher wie Devolver Digital wollen schon 2025 klimaneutral sein. Die Stellschrauben fangen bei vermeintlichen Kleinigkeiten wie Papier sparen an und gehen bis hin zu langfristigen Stromverträgen mit regionalen Solarparkbetreibern, um Produktion, Betrieb und Vertrieb umweltfreundlich zu gestalten. Der Spielhersteller Acid Wizard Studio („Darkwood“) aus Polen verwendet bereits ausschließlich erneuerbare Energien in seinen Büros und nutzt recycelte Materialien für seine Spieleverpackungen. Das deutsche Entwicklerstudio Gentlymad Studios bietet sein Werk „Endzone – A World Apart“ auch in einer „Save the World Edition“ an, bei der in Kooperation mit One Tree Planted jeweils ein Baum gepflanzt wird – ein grünes Angebot für die Community. Auch Hardwarehersteller wie Logitech oder Razer denken um und nutzen bereits heute recycelte Materialien für ihre Gaming-Mäuse und Tastaturen. Logitech geht dabei noch einen Schritt weiter und will ab 2024 bei allen Produkten auf recycelte Materialen umstellen. Dafür entwickeln sie eigene Recycling-Verfahren für Plastik-Granulate und werben für das weltweite Recycling ihrer ausgedienten Produkte.
Diese und viele weitere Beispiele zeigen: Das grüne Spiel läuft und am Ende können alle gewinnen. Nicht zuletzt dienen solche vermeintlich kleinen Initiativen den großen Anbietern Nintendo, Sony und Microsoft als Vorbild, um das digitale Pixelgestöber noch schneller noch grüner zu machen.