Neues Leben in alten Schüsseln –

Eine steile Upcycling-Idee für Parabolantennen
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7 Min.
CKW

Text: Birgit Scheuch, 01.09.2023

Seit November 2022 produziert eine ausgediente Satellitenschüssel in den Schweizer Bergen Solarstrom. Und das kam so…

Zwei Fragen beschäftigten CEO John Harris im Sommer 2020: Wie können wir die Energieversorgung des Firmenstandorts noch nachhaltiger gestalten? Und – was machen wir mit den veralteten Parabolantennen auf dem Gelände? Harris ist CEO des Satellitenfunk- und Rechenzentrums LEUK Teleport & Data Centre.

Die gigantischen Satellitenschüsseln, die seit 1972 das Erscheinungsbild der Schweizer Gemeinde Leuk prägen, waren überholt: Dank leistungsstarker Elektronik kommt der Satellitenfunk heute mit wesentlich kleiner dimensionierten Parabolspiegeln aus.

John Harris hielt nichts davon, Vermögenswerte zu verschrotten und die Antennen auf den Wert ihres Altmetalls zu reduzieren, weil sich der Satellitenmarkt verändert hat. „Wir sollten sie einer anderen Verwendung zuführen.“, fand er. Eine Möglichkeit wäre ihr Umbau zu Radioteleskopen gewesen, die für die Untersuchung elektromagnetischer Strahlung aus dem Weltraum gebraucht werden, erklärt John Harris.

„Wir hätten diesen Weg einschlagen können, da gibt es einige renommierte Forschungsinstitute. Aber angesichts der unberührten Umwelt, in der wir leben und arbeiten, erschien es mir sinnvoller, das Thema der Nachhaltigkeit weiterzuverfolgen.“
John Harris, CEO von LEUK Teleport & Data Centre

Und plötzlich stand die Idee im Raum: Die Satellitenschüsseln, die 50 Jahre lang Botschaften aus dem All empfangen hatten, sind beweglich. Statt sie auf den betreffenden Satelliten auszurichten, könnten sie auch der Sonne folgen. Und statt Funkwellen Solarenergie einfangen, aus der dann mit Photovoltaik Strom erzeugt würde. Genial, oder?

Zwischen der Idee und ihrer Umsetzung standen allerdings noch ein paar technische Hürden. Die Unternehmensberatung schlug vor, einige der großen Elektrizitätsunternehmen in der Schweiz zu besuchen und zu schauen, ob sie helfen könnten. „Also kamen zwei oder drei vorbei und schauten sich die Baustelle an.“, erinnert sich Harris.

„Verständlicherweise war ihre erste Reaktion ,Was?!‘ Als wir ihnen dann aber erklärt haben, dass sich diese Schüsseln bewegen können, dass wir sie dazu bringen können, der Sonne zu folgen […] wodurch wir selbst im Winter viel mehr produzieren könnten als ein fest am Boden montiertes Solarpanel, kam die Neugier.“

Ein Team überzeugte Harris mit Sachverstand und Urteilsvermögen: „CKW war einfach fantastisch – ihre Leute gingen auf einen Rundgang und begutachteten alles, kamen zurück und sagten: ,Wissen Sie, wir denken, das ist eine tolle Idee, das können wir machen.“

Der Effizienzgrad der Satelliten-Solaranlage von Leuk ist durch die Eigenschaften der Satellitenschüsseln und des Standorts sehr hoch:

  • Die Solarpanels werden auf der Innenseite der Satellitenschüsseln montiert, wo die Sonneneinstrahlung am stärksten wirkt.
  • Die helle Oberfläche der Satellitenschüsseln reflektiert das einfallende Sonnenlicht. Die deshalb verwendeten bifazialen Solarmodule können beidseitig Energie aus Sonnenlicht erzeugen.
  • Die Schüsseln lassen sich nach der Sonne ausrichten.
  • Auf den Panels bleibt kaum Schnee liegen.
  • Solarpanels arbeiten bei kälteren Temperaturen grundsätzlich effektiver.
  • Das Rechenzentrum und die Satellitenschüsseln liegen rund 1000 Meter über dem Meer und damit meist über der Nebelgrenze. Somit bekommt die Anlage verhältnismäßig viel Sonne.

In der Satellitenschüssel mit ihren 32 Metern Durchmesser sind 307 Solarpanels mit einer Nennleistung von 116 kWp angebracht. Sie produzieren im Jahr rund 110.000 kWh.

Das Eckige muss ins Runde

Manuel Jossi war bei CKW Projektleiter für die Umsetzung der Satellitensolaranlage in Leuk. Heute ist er stellvertretender Leiter Solartechnik in der Zentralschweiz. Am stärksten beeindruckte ihn die Größe der Antenne mit ihrem Durchmesser von 32 Metern: „Ich wollte die Anlage unbedingt bauen, obwohl mir die Herausforderungen sofort klar waren.“

CKW

„Ich wollte die Anlage unbedingt bauen, obwohl mir die Herausforderungen sofort klar waren.“

– Manuel Jossi, Projektleiter für die Umsetzung der Satellitensolaranlage

Für die Konstruktion war der Wind ein spezielles Thema, sagt er. „Die gesamte Anlage muss an diesem Standort Windkräfte von 200 Stundenkilometern aushalten können.“ Doch die Aufgabe fand er spannend – „ganz und gar nicht 08/15.“

Tatsächlich stand seinem Montage-Team einiges bevor: „Die Wölbung der Schüssel war eine Herausforderung. Die Solarpanels sind ja immer noch flach.“ Die Lösung: „Wir bauten ein spinnennetzartiges Gerüst, auf welches wir die insgesamt 307 Panels montieren konnten.“ Überwiegend kamen Standardelemente zum Einsatz, „ein paar Spezialteile haben wir in der CKW-eigenen Werkstatt entwickelt und produziert.“

Bei der Montage, erzählt Manuel Jossi, waren die rutschige Oberfläche, die starke Reflektion und die hohen Temperaturen sehr herausfordernd. Gutes Schuhwerk, hochwertige Sonnenbrillen und genügend Trinkwasser gehörten daher zur Ausrüstung. Ganz abgesehen davon, dass die Arbeit in 40 Metern Höhe stattfand und Schwindelfreiheit zu den Jobvoraussetzungen zählte.

Die richtigen Entscheidungen treffen

Im Gespräch mit John Harris wird deutlich, dass er seine persönlichen Antennen auf den Klimaschutz ausgerichtet hat. „Wir sind uns sehr bewusst, dass sich das Klima verändert“, sagt er. „Hier im Kanton Wallis geht der Gletscher zurück, ein Stück die Straße runter beginnt der Furka-Pass, wir sehen, wie die Schneefallgrenze steigt. Dieses Jahr gab es als weiteren Beweis die schlechtesten Schneebedingungen aller Zeiten. Dessen müssen wir uns bewusst sein, wenn wir Entscheidungen treffen.“ Für Harris ist klar: „In unserer energieintensiven Branche haben wir die Verantwortung, unseren Einfluss auf das Klima zu minimieren.“

Viel Energie verbraucht einerseits das Rechenzentrum, welches Leuk am Standort betreibt. Aber auch beim Betrieb der Parabolantennen kommt einiges zusammen: „Sie werden gedreht und auf den Satelliten ausgerichtet. Und im Winter müssen die Schüsseln beheizt werden, damit kein Schnee darauf liegen bleibt.”, erklärt John Harris. Dass der CO2-Ausstoß von Leuk auch bisher schon relativ gering ist, liegt daran, dass der Strom im Schweizer Kanton Wallis ohnehin aus Wasserkraft stammt. Doch John Harris gibt sich damit nicht zufrieden: Das Gebäudedach ist bereits mit Photovoltaik ausgestattet. Es kommen Solarmodule auf jede verfügbare Fläche. Zwei weitere von insgesamt vier veralteten Satellitenschüsseln werden ebenfalls zu Kraftwerken umgebaut.

„Nummer zwei kommt in diesem Jahr, nächstes Jahr wahrscheinlich eine dritte, und die vierte werden wir wahrscheinlich abbauen.“, sagt John Harris. Letzteres sei eine Effizienzabwägung gewesen, weil die vierte Schüssel, während sie sich nach der Sonne dreht, einen Schatten wirft, wo weitere Solarmodule auf dem Boden stehen könnten.

Ist die Solarsatellitenanlage denn nun europaweit einzigartig – oder vielleicht sogar weltweit die erste ihrer Art?

Daniel Nadler, Leiter des Vertriebs für Geschäftskunden bei CKW: „Ob es weitere PV-Anlagen in ausgedienten Parabolspiegeln auf der Welt gibt, wissen wir nicht. Doch die Fotos von unserer Anlage schafften es im Guardian UK zu den Bildern des Tages. Gemeinsam mit John Harris und Leuk TDC blicken wir mit Stolz auf dieses innovative Projekt und freuen uns über die vielen positiven Rückmeldungen.“

John Harris: „Ich glaube, es ist die weltweit erste Solarsatellitenanlage. Nur, weil wir keine anderen finden konnten, können wir nicht ausschließen, dass es welche gibt. Daher haben wir uns davor gescheut, es in der Öffentlichkeit zu behaupten.“

Eines jedenfalls lässt sich über die Solarsatellitenanlage von Leuk ohne jeden Zweifel sagen: Mit offenen Augen und der richtigen Einstellung finden sich ungeahnte Möglichkeiten zur Erzeugung von grünem Strom – und zur Wiederverwertung von Ressourcen obendrein.

Auf die Frage, ob CKW die Solarsatellitenschüssel künftig in ihr Produktangebot aufnimmt, antwortet Manuel Jossi: „Nein, es ist ganz klar eine kundenspezifische Einzellösung.“ Und CEO John Harris fände es großartig, „wenn unser Projekt andere Menschen inspirieren könnte, ausgediente Anlagen umzunutzen und ihnen ein zweites Leben von 25 Jahren zu schenken. Aber als Unternehmen – nein, das ist nicht unsere Aufgabe. Unser Geschäft sind Datenzentren und Satellitenkommunikation.” Also, liebe Copycats, der Verbreitung des Konzepts steht nichts im Wege!

„Grundsätzlich war die Satelliten-Solaranlage meine Idee.
Aber letztlich sind in dem Projekt Ideen, Wissen und Erfahrung aller Beteiligten verschmolzen.“
– John Harris

Beteiligte

Das LEUK Teleport & Data Centre im Schweizer Kanton Wallis besteht unter verschiedenen Bezeichnungen seit 1972. Heute ist es das einzige zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie betriebene Teleport- und Rechenzentrum Europas.

Die CKW-Gruppe ist ein Tochterunternehmen der Axpo Holding und Anbieter von integrierten Energie- und Gebäudetechniklösungen. Das Unternehmen versorgt knapp 200.000 Endkunden mit Strom. Axpo ist die größte Schweizer Produzentin von erneuerbarer Energie und im internationalen Energiehandel tätig.