Schöner laden –
Schicke Solardächer, edle Holzbauten, Coworking-Spaces, Filme und Fitness – wie sieht die Tankstelle, oder besser die Ladestation der Zukunft aus? Wir haben dem SMA Innovation Management in die Karten geschaut.
Seitdem die Elektromobilität aus Lifestyle-Magazinen und Forschungsabteilungen auf die Straße dringt, wird aus der praktischen Frage: „Wo ist die nächste Ladesäule?“ ein Thema von ökonomischer Relevanz. Das Schicksal der traditionellen Tankstelle könnte demnächst Branchen umkrempeln und Märkte bewegen. Wo, wie und wann werden Menschen in der Stadt, auf dem Land und unterwegs ihre E-Autos laden, steht zur Debatte – und wer verdient daran?
Die Vorstellung einer weltweiten Ablösung des Verbrennungsmotors durch den E-Antrieb kursiert schon einige Zeit und bot Raum für Spekulationen. Designentwürfe für die Tankstelle der Zukunft bekamen Preise, Prototypen sprossen aus dem Boden. Elon Musk hat nach Jahren endlich von der Stadt Los Angeles grünes Licht für seine Baupläne bekommen: Seine Interpretation des Themas ist ein von den Fifties inspirierter Diner mit Kurzfilm-Kino und Supercharger-Parkplatz.
Doch im Gegensatz zur Sprachassistent:in oder Buchungsplattform ist die E-Mobilität keine sprunghafte „disruptive“ Innovation. Vielmehr geschieht der Übergang vom Alten zum Neuen gemächlich, für manche viel zu langsam. „Die fossile Welt hat erstmal noch Bestand. 10, 20 Jahre, wir wissen es nicht. An diesem Tipping Point wird es jedenfalls spannend.“ Carsten Gundlach ist Senior Innovation Manager bei der SMA Solar Technology AG. Sein Team beobachtet Trends von mega bis mikro über einen Zeithorizont von drei bis zehn Jahren, um daraus Handlungsfelder für das Unternehmen abzuleiten. In Anlehnung an den Mobility Report 2022 des Zukunftsinstituts umreißt er Szenarien für die Zukunft der Tankstelle – und die Tankstelle der Zukunft.
Mit der E-Mobilität verändert sich das Tankerlebnis
„Noch sind fossile Tankstellen quicklebendig. Wie lange, lässt sich schwer einschätzen.“, meint Carsten Gundlach. Klar sei, dass Tankstellenbetreibende ihr Geschäft aufrechterhalten, solange PKW und vor allem LKW tanken müssen. Als minimale Anpassungsmaßnahme kommen einige Schnelllader auf das Gelände, dazu vielleicht Serviceangebote wie etwa ein Paketshop.
Zur gleichen Zeit wird das Tanken selbst modernisiert. So hat das dänische Start-up Autofuel im finnischen Espo ein vollautomatisches Betankungssystem in Betrieb genommen: Ein Roboter öffnet den Tankdeckel, führt die Zapfpistole ein und tankt die gewünschte Menge Sprit. Chevron und Texaco machen mit einer App den Gang zur Kasse überflüssig. Bezahlt wird über das Smartphone, die Rechnung bei Bedarf gleich mit den Mitfahrenden geteilt. Warum beides bemerkenswert ist? Weil das, was sich an der konventionellen Tankstelle bewährt, Einfluss auf künftige Ladekonzepte haben könnte.
Für die vollständige Transformation zur Elektromobilität ist eine flächendeckende Ladeinfrastruktur unabdingbar – kein leichtes Unterfangen. Da trifft es sich gut, dass finanzstarke Mineralölkonzerne neue Geschäftsfelder brauchen. Für die Versorgung gewerblicher Fahrzeuge mit Strom und Wasserstoff sind Ladeparks am Stadtrand und entlang der Fernstraßen ausschlaggebend. Zum Glück eignen sich hierzu die Flächen bisheriger Tankstellen ziemlich gut. Aber das ist noch nicht alles …
Denn die meisten E-Auto-Nutzer:innen sind auf öffentliche Ladesäulen angewiesen, nicht jede:r hat einen Stellplatz mit Wallbox. Weshalb Shell 2021 das Unternehmen ubitricity übernahm, das Städten beim Ausbau der Ladeinfrastruktur hilft. Bekannt wurde ubicitry durch ihr Upgrade für Straßenlaternen, welche das Laden von E-Fahrzeugen während des Parkens am Straßenrand erleichtern.
Andere Szenarien des Zukunftsinstituts sind die vom Dieseldunst befreite Tankstelle als Kiez- und Dorftreff und Mobility Hubs, die alles bündeln was die Elektromobilität erleichtert: Car-Sharing und verkehrsmittelübergreifende Reiseangebote, Batterien-to-go, Informationen und Reiseverpflegung.
Was braucht die Tanke der Zukunft – und was kann weg?
Einige der 2022 prognostizierten Trends sind schon wahr geworden, andere schälen sich gerade erst heraus. Die Ladestation der Zukunft kann eben auch ganz anders sein. Anpassungsfähig, ein Markenerlebnis oder im Dienst der Sache.
Alles für die E-Mobilität
Das britische Unternehmen GRIDSERVE hat sich bewusst gegen die aus der fossilen Ära stammende Bezeichnung „Service Station“ für ihre Ladestationen entschieden. Und das Konzept der scheint aufzugehen: Drei sind bereits in Betrieb, 11 weitere im Bau oder Antragsstadium, eine Expansion nach Schottland steht auf dem Plan.
Die „Electric Forecourts“ sollen nicht einfach nur den Durchgangsverkehr mit Energie versorgen. Es sind größere Ladestationen mit einem Serviceangebot für die nähere Umgebung – Buchhandlung, Post, Café, Lebensmittelgeschäft und online buchbare Arbeitsräume.
Und sie sind Teil eines Gesamtkonzepts: Unter dem Label „Sun-to-Wheel“ entwickelt, baut und betreibt GRIDSERVE Ladenetze für Elektrofahrzeuge, erzeugt den dafür benötigten Solarstrom und bietet das Leasing von E-Autos an.
Auch der Innovationspark im bayrischen Zusmarshausen verfolgt einen höheren Zweck: Neben modernsten Ladepunkten, Erholungs-, Einkaufs- und Parkmöglichkeiten hat der Betreiber Sortimo, ein Hersteller von Fahrzeugeinrichtungen, dort einen Campus für Digitalisierung, Energieeffizienz und Innovationen angesiedelt.
Die Marke inszenieren
„Die Idee, Ladeorte als Markenerlebnis zu gestalten, ist tatsächlich neu. Bisher repräsentiert die Tankstelle einen Mineralölkonzern.“, berichtet Carsten Gundlach. „Jetzt haben aber Audi und Porsche exklusive Lade-Lounges eröffnet.“ Für den Zugang zur „Porsche Charging Lounge“ nahe Bingen am Rhein wird das hinterlegte Nummernschild gescannt. Audi-Fahrer:innen öffnet in Nürnberg ein Concierge oder nach Dienstschluss ein PIN die Tür. Das Serviceangebot reicht hier vom Meetingraum über Autopflege bis zu Scooter-Verleih und Lebensmittellieferung. Auch eine gute Idee, findet Carsten Gundlach: „Secondlife-Batterien aus Audi-Testfahrzeugen dienen als Pufferspeicher für Gleichstrom, wodurch sich ein Hochspannungsanschluss und teure Transformatoren erübrigen.“ In die Kategorie Markenerlebnis fällt auch Teslas „Milliways“-Projekt: Der eigentliche Ladevorgang verschwindet hinter dem Place-to-be.
Veränderung mitdenken
„Was ich auch spannend finde“, sagt Carsten Gundlach: „Eine Tankstelle baue ich ja für die Ewigkeit. Lademöglichkeiten aber, stellen wir fest, entstehen dort, wo die Menschen sie brauchen – auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums beispielsweise. Zwei oder vier Ladepunkte erstmal. Wenn der Trafo dafür ausgelegt und der Bedarf da ist, kann ich in den nächsten Jahren daraus acht oder zwölf machen. Es wird viel verteilter geladen, und alles ist noch in Bewegung.“
Flexible und anpassungsfähige Lösungen haben also einen Vorteil. Innerhalb von 24 Stunden sei ihre Pop-up- Solarladestation Papilio3 aufgebaut und installiert, verspricht das britische Unternehmen 3ti. 36 Solarmodule versorgen die aus recycelten Schiffscontainern hergestellte Ladestation mit Strom, unterstützt von einem Batteriespeicher. Ein smartes Lade- und Abrechnungssystem ist im Mietpreis enthalten.
Sehr spacig sieht die „Hyper:Fuel Mobile Station“, welche das kalifornische Start-up Hyperion Ende 2022 ankündigte. Brennstoffzellen- und Batterie-Fahrzeuge sollen hier parallel auftanken und nachladen können. Momentan scheint sich das Unternehmen auf die Fahrzeugentwicklung zu konzentrieren. Aber das heißt ja nicht, dass so etwas oder etwas ähnliches nicht demnächst auf den Markt kommen kann.
Charakter zeigen
In ihre Einzelteile zerlegt, wirkt die Ladestation der dänischen Unternehmens COBE unspektakulär. Doch Showcases des vielfach preisgekrönten Architekturbüros vermitteln einen Eindruck, welche Sprünge denkbar sind, wenn das Design den Charakter der Elektromobilität widerspiegelt: „Eine Oase weit weg vom Lärm und der Umweltverschmutzung der traditionellen, auf fossilen Brennstoffen basierenden Tankstellen“, deren Konstruktion demontiert und somit wiederverwendet werden kann.
Zwischen Vision und Pragmatismus
Werden elegant designte Erlebnis-Ladestationen aus nachwachsenden Rohstoffen die Regel sein? Carsten Gundlach hat seine Zweifel. Für ihn haben Lösungen für die praktischen Probleme des Ladealltags Priorität: „Während des Ladens ein Kaffee und ein Gang zum WC, das ist das Minimum. Schön wäre es, wenn ich gar nicht aussteigen müsste – wenn Sensoren und Roboter das Laden und Bezahlen erledigen. Also wie in dem finnischen Tankstellen-Beispiel. Was keinesfalls fehlen darf, ist eine Überdachung. Es dauert ja doch einen Moment, bis ich sicher sein kann, dass der Ladevorgang gestartet ist. Da will ich nicht im Regen stehen. Andersherum muss und wird es überall Lademöglichkeiten geben, wo ich mich eine gewisse Zeit aufhalte, im Baumarkt, im Supermarkt et cetera.“ Letztlich, so sieht es Carsten Gundlach, muss sich das Vorhaben rechnen: Es wird sich zeigen, für was die Kunden zu zahlen bereit sind.
Ob sich die vollautomatische Batteriewechsel-Station und das kabellose Laden während der Fahrt durchsetzen werden? Da fragen wir dann rechtzeitig noch einmal beim Innovation Management von SMA nach.