Wir müssen wohl oder übel Gott spielen

Zielgerichtete Eingriffe in das Klimasystem der Erde
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Text: Martin Brunner, 05.09.2020

Beim Begriff Geoengineering schrillen bei vielen Menschen die Alarmglocken. Ohne Geoengineering, also bewusste und zielgerichtete – meist in großem Maßstab durchgeführte – Eingriffe in das Klimasystem der Erde, wird das Klima allerdings wohl nicht mehr zu retten sein. Welche Möglichkeiten haben wir und wer passt auf, dass dabei nichts schief geht?

Es ist doch wirklich zum Haare raufen! Wir hätten ja lange genug Zeit gehabt, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Sogar noch 2018 kam das Fraunhofer-Institut für Energiesystemtechnik in seiner Studie „Energieszenario 2020“ zu dem Schluss, dass Deutschland sein Klimaschutzziel noch erreichen kann. Wäre alles machbar gewesen. Stattdessen baut der Energieversorger RWE aktuell mal wieder munter den Tagebau aus. Das MCC in Berlin beziffert in einem Kurzdossier, dass uns beim derzeitigen weltweiten CO2 Ausstoß noch fünf Jahre bleiben. Denn in fünf Jahren ist laut MCC das globale CO2 Budget, mit dem das angestrebte Ziel einer maximalen Erderwärmung um 1,5°C noch erreichbar ist, vollends aufgebraucht, wenn wir auf derzeitigem Level weiter machen. Statt zu reduzieren, werden aber lieber CO2-Hypotheken aufgenommen.

Können wir die jemals begleichen? Nein. Zumindest nicht, so lange wir weiterhin an einem Wirtschafts- und Wertesystem festhalten, das auf permanentem Wachstum beruht. Außer… Ja, außer wir finden Mittel und Wege, die uns erlauben, Treibhausgase aktiv aus der Atmosphäre zu entfernen. Negative Emissionen zu erzeugen ist zwar möglich, allerdings sind die derzeitigen Methoden in ihrer Wirkung unzureichend bis potenziell katastrophal. Das MCC bezeichnet Negative Emissionen als „unsichere Sondertilgung“, da jeder der bisherigen Ansätze ein riesengroßes Aber beinhaltet. Dennoch wird wohl kein Weg am Geoengineering vorbeiführen, es bedarf also dringend umfassender Forschung.

Negative Emissionen

Es gibt viele verschiedene Ideen, wie man Negative Emissionen realisieren könnte. Manche davon sind recht simpel, andere sind technologisch sehr anspruchsvoll. Einen erheblichen Mehraufwand bedeuten sie alle.

Aufforstung und Wiederaufforstung
Baumwachstum ist relativ kostengünstig und entzieht der Atmosphäre zwar CO2, allerdings nimmt Aufforstung große Flächen in Anspruch, wodurch sie im Konflikt mit dem Nahrungsmittelanbau steht. Zudem ist sehr viel Wasser nötig, damit die Setzlinge gut gedeihen. Obendrein fanden Forscher heraus, dass Aufforstung nicht wirklich effektiv ist, da die Bäume aufgrund des bereits hohen CO2-Anteils in der Luft zwar schneller wachsen, dafür aber auch bedeutend früher sterben. Das Treibhausgas kann also nicht im ausreichenden Maß und auf genügend lange Zeit gebunden werden.

Biokohle
Teilverbrannte Biomasse wird den Böden zugefügt. Dadurch verbessert sich die Fähigkeit der Böden, CO2 zu absorbieren. In welchem Ausmaß die Einbringung in Böden stattfinden müsste und welche Auswirkungen dies auf das Bodenleben hätte, ist allerdings noch zu wenig erforscht. Das Umweltbundesamt veröffentlichte 2016 eine Studie zum Thema Biokohle, um zunächst überhaupt einmal den Forschungsbedarf abzuleiten.

Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Verpressung (BECCS)
Pflanzen wandeln CO2 in Biomasse um, die dann verbrannt wird und dadurch Energie liefert. Das bei der Verbrennung freigesetzte CO2 wird aufgefangen und im Boden verpresst, um es dort dauerhaft zu speichern. Das verbraucht jedoch enorme Flächen, zudem sind die Kosten sehr hoch und die Menschen in den betroffenen Gebieten wehren sich dagegen, dass in ihrer Nachbarschaft riesige Mengen Treibhausgas in den Boden gepumpt werden.

Enhanced Weathering
Weathering ist der englische Begriff für Verwitterung, also die natürliche Zersetzung von Gestein. Wenn sich dabei bestimmte Gesteinsmineralien im Regenwasser lösen, zieht diese Lösung Kohlendioxid aus der Atmosphäre an. Es wäre also möglich, zerkleinerte Mineralien dem Boden zuzusetzen, um dadurch atmosphärisches CO2 chemisch zu binden. Diese Methode liefert allerdings keine Energie, sondern verbraucht sie nur. Und wie bei Biokohle gibt es auch hierzu nur unzureichende Forschung.

Kraft der Alge: Um das Wachstum von Algen zu fördern werden dem Ozean Eisen oder andere Nährstoffe zugesetzt, denn je mehr Algen es gibt, desto mehr CO2 können sie aufnehmen.

Ozeandüngung
Eisen oder andere Nährstoffe werden dem Ozean zugesetzt, um das Wachstum von Algen zu fördern, denn je mehr Algen es gibt, desto mehr CO2 können sie aufnehmen. Wenn sie dann absterben, sinken sie mitsamt dem gebundenen CO2 auf den Meeresgrund. So die Theorie. In der Praxis ist die Wirksamkeit dieser Methode umstritten.

Luftfilter (DAC)
CO2 wird der Umgebungsluft durch chemische Prozesse entzogen und im Boden gespeichert. Dadurch ließe sich in der Theorie zwar sehr viel CO2 aus der Atmosphäre ziehen, allerdings wäre dazu ein Drittel des derzeitigen weltweiten Energiebedarfs notwendig.

Klimarettung: God Level

Das Centre for Climate Repair (CCR) der Cambridge University widmet sich ebenfalls der Erforschung von Methoden zur THG-Emissionsreduktion und Negativen Emissionen. In seinem dritten Forschungsschwerpunkt geht das CCR allerdings noch einen entscheidenden Schritt weiter. Es widmet sich nämlich auch der Klimareparatur. Die Kernfragen dabei: Welche neuen Technologien könnten eingesetzt werden, um kritische Elemente des Klimasystems zu einem unbeschädigten Zustand zurückzuführen und was sind die rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen und ethischen Auswirkungen davon?

Beispielsweise gibt es Bestrebungen, die Pole wieder einzufrieren. Dazu könnten unbemannte Schiffe auf den Polarmeeren Meerwassernebel in die Wolken sprühen. Dadurch werden die Wolken mit winzigen Salzpartikeln angereichert, wodurch sie sich weiter ausbreiten und mehr Sonnenlicht reflektieren, was zu kühleren Temperaturen unter dem Wolkenschleier führt.

Eine weitere Möglichkeit des Solar Radiation Management wäre, flächendeckend Schwefeldioxid in die Stratosphäre einzubringen, wodurch sich ebenfalls reflektierende Partikel bilden würden. Selbst das Positionieren von Spiegeln im Weltall wird inzwischen in Betracht gezogen, um die Erderwärmung durch die Sonne zu reduzieren.

Wir müssen alle Optionen prüfen

Das CCR betont, dass die Situation inzwischen so ernst ist, dass auch Ansätze zur Klimarettung in Betracht gezogen werden müssen, die bisher als zu aufwändig, zu teuer oder zu riskant galten. Das Weltklima ist an alle möglichen Ökosysteme gekoppelt, die Erde als Biosphäre ein derart hochkomplexes System, dessen Wechselwirkungen die Wissenschaft bis heute nicht vollständig erfasst hat — und vielleicht niemals bis ins Letzte verstehen wird. Die Methoden, die uns vor der Klimakatastrophe retten sollen, bedeuten invasive Eingriffe in dieses System in einem massiven Umfang. Welche Folgen diese Eingriffe haben und die Tragweite der Konsequenzen können wir allenfalls vage erahnen. Umso wichtiger sind Institutionen wie das CCR und MCC, die versuchen, alle Facetten von Geoengineering-Methoden wissenschaftlich und ethisch zu beleuchten, um so ein möglichst klares und umfassendes Bild zu liefern. Nur so können rationale Entscheidungen getroffen werden. Nur so kann verhindert werden, dass durch überstürzte Last-Minute-Entscheidungen versehentlich die drohende Apokalypse noch schneller hereinbricht.