Zukunftsmodell Energy Communities?
Unseren Nachbarn helfen wir gerne mal kurzerhand mit einem Werkzeug oder einer Portion Mehl aus. Aber beim Strom? Da zapft jeder noch aus der eigenen Leitung. In einer Energy Community wird Energie zum allgemeinen Gut, gemeinsam erzeugt und gemeinsam verbraucht. Das Konzept geht gleich drei große Herausforderungen der Energiewende an – kein Wunder, dass in Europa immer mehr Energiegemeinschaften entstehen.
Autarke Energieversorgung vor Ort
Die 130 Einwohner des brandenburgischen Dorfes Feldheim müssen sich zurzeit gar keine Sorgen um internationale Energiekrisen machen. Schon seit einigen Jahren sind sie eine Energy Community und versorgen sich seit 2010 komplett selbst mit günstigem Strom aus Wind- und Solarenergie sowie Wärme aus der Biogasanlage – quasi bio und aus lokalem Anbau. Was sonst Aufgabe von Energieversorgern ist, machen die Bewohner von Feldheim in Eigenregie. „Die Bürgerschaft nimmt die Verantwortung selbst in die Hand“, erklärt Feldheims Bürgermeister Michael Knape der Deutschen Welle.
Das fing schon Mitte der 1990er Jahre an: Die Investoren Doreen und Michael Raschemann bauten in der Nähe des Dorfes Windkraftanlagen, wollten vorab die Einwohner mit an Bord holen. Die anfängliche Skepsis schwand durch transparente Gespräche und der Aussicht, sich selbst am Projekt beteiligen zu können. „Wenn man sich mitgenommen fühlt und auch mal sein Veto einlegen kann, werden die Sorgen kleiner“, erklärt Doreen Raschemann den Erfolg des Projektes. Schon das fünfte Windrad wurde gemeinschaftlich mitfinanziert, über die Jahre kamen immer mehr regenerative Energiequellen hinzu. Mittlerweile produziert das Dorf so viel Energie, um zusätzlich Tausende Haushalte in der Region versorgen zu können – ein grünes Mini-Kraftwerk, mitten auf dem Land.
Der Schlüssel zur Energiewende?
Nicht zuletzt die derzeitige Energiekrise macht deutlich: Fossile Energieträger wie Öl oder Gas werden nicht nur immer knapper, sondern auch durch politische Entscheidungen Einzelner immer teurer. Energy Communities sind der Gegenentwurf, denn sie machen (grünen) Strom zum günstigen Allgemeingut. Strom wird vor Ort produziert, genutzt und gekauft. So treiben Bürger nicht nur ihre persönliche Energiewende voran und gestalten Klimaschutz in ihrer Gemeinde mit – sie verdienen obendrein Geld am Verkauf von überschüssiger Energie. Auch der volkswirtschaftliche Nutzen darf nicht unterschätzt werden: Wird Energie lokal produziert und verbraucht, müssen die öffentliche Stromnetze weniger ausgebaut werden.
Solche Energiegemeinschaften können überall auf der Welt entstehen. Sie schöpfen ihr volles Potenzial vor allem dort aus, wo das öffentliche Stromnetz nicht jeden Haushalt erreicht und Menschen improvisieren müssen. Das Konzept ist aber auch so vielversprechend, weil Energy Communities gleich drei große Herausforderungen der Energiewende angehen – Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung. Der Einsatz regenerativer, sauberer Energie aus Wind- oder Solarkraft verursacht weniger CO-Emissionen als fossile Pendants. Das öffentliche Stromnetz wird dezentralisiert: Energy Communities sind Mini-Kraftwerke und basieren auf sogenannten Off-Grid-Netzen, die keinen Anschluss ans öffentliche Stromnetz benötigen. Energie wird dort erzeugt, wo sie verbraucht wird. Nicht zuletzt profitiert auch die Digitalisierung, denn eine Energy Community funktioniert nicht ohne digitale Infrastruktur. Automatisierte Software liefert Live-Daten zu Stromerzeugung und -verbrauch – viel transparenter und praktischer als die jährliche Strom- oder Gasabrechnung.
Feldheim war erst der Anfang
Das kleine Feldheim dient seit über zwei Jahrzehnten als Energie-Vorbild, ist damit aber nicht allein in Deutschland. Laut der Deutschen Energie-Agentur dena gibt es hierzulande knapp 1700 Energy Communities und damit die meisten in Europa. Mit dabei ist auch die Kleinstadt Haßfurt in Nordbayern: Sie ist stromtechnisch autark, weil Lokalpolitik und Stadtwerke die Energiewende seit 25 Jahren vorantreiben. Dabei setzen sie auf einen Mix aus Sonnenenergie, Windkraft und Biogas. Allein die kommunale PV-Anlage produziert täglich tausende Kilowatt Öko-Strom, im Winter und an trüben Tagen kurbeln vor allem die Windanlagen die Stromproduktion an. Zusätzliche große Batteriespeicher gewährleisten auch nachts eine stetige Versorgung. Dafür zahlen die knapp 13.000 Einwohner gerade mal 23 Cent pro Kilowattstunde. Sind die PV-Anlagen erstmal abbezahlt, wird es noch günstiger.
Und was hier im „Kleinen“ funktioniert, ist beliebig nach oben skalierbar. Das sieht das wenige Kilometer entfernte Bundorf ähnlich, wo aktuell auf 125 Hektar der größte Bürgersolarpark in Deutschland entsteht, bei dem sich Privatbürger per Genossenschaft beteiligen können. „Projekte wie diese sind ein Paradebeispiel für eine autarke Energieversorgung“, sagt Michael Ebel, Key Account Manager bei der SMA Solar Technology AG, die Systemtechnik mit einer Wechselstromleistung von über 100 Megawatt nach Bundorf lieferte. „Communities wie diese zeigen, dass wir die Energiewende nur gemeinsam stemmen können, wenn Politik, Energieversorger und Bürger Hand in Hand zusammenarbeiten.
Energy Communities zeigen, dass Deutschlands Energieversorger umdenken müssen. Etwa die Aschaffenburger Versorgungs-GmbH (AVG): „Die Zeiten, in der man mit der reinen Energielieferung Geld verdienen kann, sind bald vorbei. Wir möchten mit der Community den Wandel vom Energielieferanten zum lösungsorientierten Dienstleister einleiten“, sagt Jürgen Schnack, Bereichsleiter Vertrieb und Energiewirtschaft bei der AVG.
Daher entsteht gerade in der unterfränkischen Stadt mit 71.000 Einwohnern eine Energy Community mit PV-Anlagen. Die erforderliche Technik und Software kommt von der coneva GmbH, einer Tochtergesellschaft der SMA für digitale Energielösungen: „Eine Smart Box vernetzt die Haushalte und misst Stromerzeugung und -verbrauch in Echtzeit. Die Daten fließen im lokalen Energie-Management-System zusammen, um den Eigenverbrauch zu optimieren und überschüssigen Strom mit anderen zu teilen. Eine Smartphone-App zeigt die persönliche Energiebilanz – das macht die eigene Stromerzeugung nicht nur transparent, sondern auch erlebbar“, erklärt Dr. Martin Stötzel, Product Owner Energy Communities von coneva.
Das Interesse der Aschaffenburger ist da, die Warteliste dementsprechend lang. „Wirtschaftlichkeit steht dabei nicht an erster Stelle. Die meisten begrüßen die Chance, sich endlich autark mit Strom versorgen zu können“, freut sich Jürgen Schnack von der AVG. Da das öffentliche Stromnetzwerk notfalls als Back-Up zur Verfügung steht, verschwinden die Sorgen um Strom-Blackouts.
Energy Communities in Europa
Energy Communities finden natürlich nicht nur in Deutschland Anklang. Der europäische Norden, aber auch die Niederlande oder Spanien zählen hunderte Stromgemeinschaften. Dänemark etwa hat schon vor vielen Jahren die Energieerzeugung zum Gemeingut erklärt, weshalb es über 700 Bürgerwindprojekte im Land gibt. Der neue Kopenhagener Stadtteil Nordhavn gilt als Vorbild für nachhaltige Stadtentwicklung und setzt auf ein gesamtheitliches nachhaltiges Energiekonzept und Elektro-Mobilität. In den Niederlanden existieren ebenfalls hunderte Energy Communities, die von einer gut ausgebauten Digital-Infrastruktur profitieren.
Die Europäische Union will das Modell Energy Communities weiter fördern. Mit dem Clean Energy Package und der Renewable Energy Directive schuf sie 2019 einen gesetzlichen Rahmen und Förderungsanreize. Länder wie Österreich oder Italien überführen die neuen Regularien bereits in nationales Recht. Im süditalienischen Kalabrien etwa herrschen hervorragende Voraussetzungen für Energy Communities. Demnächst geht, ebenfalls mit der Hilfe von coneva, eine Pilot-Community an den Start, die das volle Potenzial erneuerbarer Energien im sonnenverwöhnten Land im europäischen Süden ausschöpfen will.
Was sind Energy Communities?
Energie auf lokaler oder regionaler Ebene gemeinsam erzeugen und verbrauchen. So lautet das Credo einer Energy Community. Dafür schließen sich Stromerzeuger und -verbraucher sowie Prosumer (produzieren und verbrauchen Strom) zu einer vernetzten, möglichst autarken Stromgemeinschaft zusammen. Die Energie stammt aus regenerativen Quellen wie Wind, Solar oder Biogas und wird fair untereinander geteilt und überschüssige Energie verkauft.
Was braucht es für eine Energy Community?
Prosumer bilden das Fundament für Energy Communities: Sie produzieren (eng. produce) und verbrauchen (engl. consume) Energie. Das können Privathaushalte, aber auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Verwaltungsgebäude sein. Prosumer haben eine PV-Anlage oder Vergleichbares sowie eine Verbrauchs- oder Speicheranlage (z.B. Ladesäule, Batterie, Wärmepumpe), um überschüssige Energie managen zu können. Moderne Software und Hardware optimiert den eigenen Stromverbrauch und teilt die erzeugte Energie untereinander auf. Darüber hinaus kann überschüssiger Strom gewinnbringend ins öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Die Stromgemeinschaft fungiert als Mini-Kraftwerk und wird mitunter in einem sogenannten Off-Grid-Stromnetz organisiert. Das ist mit dem öffentlichen Stromnetz verbunden, um weiterhin die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, es kann aber komplett unabhängig agieren.
Warum sind Energy Communities so wertvoll?
Das Modell der Energy Communities hat so viel Potenzial für die Energiewende, da es gleich drei große Herausforderungen der Transformation angeht – die sogenannten 3 Ds:
1. Dekarbonisierung. Energy Communities basieren auf erneuerbaren Energiequellen, etwa Windkraft-, Solar- oder Biogasanlagen. Der Strom ist also nicht nur grün, sondern auch klimaneutral und aus regionalem Anbau.
2. Dezentralisierung. Energie wird dort erzeugt, wo sie verbraucht wird. Die Infrastruktur basiert auf Off-Grid-Netzen, die keinen Anschluss ans öffentliche Stromnetz benötigen. Daher braucht es keinen massiven Ausbau des öffentlichen Netzes, da Energy Communities Mini-Kraftwerke bilden, die eine Region mit Energie versorgen können
3. Digitalisierung. Eine Energy Community kann nur mit digitalen Technologien realisiert werden. Automatisierte Software liefert Live-Daten zu Stromerzeugung und -verbrauch. Die Echtzeit-Erfassung und -Optimierung ist viel moderner und transparenter als etwa die jährliche Gasabrechnung.