Auf der elektrischen Überholspur
Während der Fahrt die Batterie des E-Autos laden – klingt nach Stoff für Filme und Videospiele? Doch induktives Laden könnte bald Alltag werden. Deutschland und andere Länder werkeln bereits an elektrifizierten Straßen.
Es ist 1990 und für das Super Nintendo Entertainment System erscheint das legendäre Rennspiel F-Zero. Antigravitationsgleiter rasen auf engen Strecken um die Wette, riskante Überholmanöver entscheiden über Sieg und Niederlage. Kurz vor der Ziellinie wird der Gleiter auf einem Energiestreifen blitzschnell wieder aufgeladen – bei voller Fahrt, ganz ohne Boxenstopp. Was für ein Gefühl!
F-Zero wird zum Meilenstein der Videospielgeschichte und das kabellose Aufladen von E-Fahrzeugen Teil der Popkultur. Über 30 Jahre später ist induktives Laden kein Science Fiction mehr, sondern bereits Realität auf Deutschlands Straßen. Bekommen unsere nationalen Klimaziele einen elektrischen Boost?
Noch mehr aus E-Autos herausholen
Auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045 spielt der Verkehrssektor eine wichtige Rolle: PKW, LKW und Co verantworten ein Fünftel des nationalen CO2-Fußabdrucks. Doch bei der Verkehrswende bewegt sich gerade wenig. Sie steckt im Stau fest. Die Bundesregierung will bis 2030 mindestens 15 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen fahren sehen. Dem stehen noch zwei Bremsklötze im Weg: Der hohe Anschaffungspreis und die limitierte Reichweite. Denn egal wie viel Power die Batterie hat, bei langen Strecken brauchen E-Autos trotzdem längere Boxenstopps an der E-Ladesäule.
Wie funktioniert induktives Laden?
Das induktive bzw. drahtlose Aufladen von E-Autos wird Dynamic Wireless Power Transfer (kurz: DWPT) genannt. Dabei wird Energie kabellos zwischen zwei Kupfer-Magnetspulen übertragen. Momentan wird an zwei Lösungen gearbeitet: Kabellose Ladestationen auf Parkplätzen und elektrifizierte Straßen. Dabei stecken in der Straße Sendespulen, am Unterboden des E-Fahrzeugs wird die passende Gegenspule montiert. Bei Kontakt entsteht ein elektromagnetisches Feld, das die Batterie des E-Fahrzeugs auflädt. Grundsätzlich können alle Fahrzeuge wie PKWs, LKWs oder Busse mit DWPT-Empfangsspulen ausgestattet werden – es braucht unterm Fahrzeugboden lediglich Platz für die ca. 1,20m x 70cm große Magnetplatte.
Vor- und Nachteile des induktiven Ladens
Induktives Laden braucht kein Kabel mehr. Die Magnetspulen kommen dort zum Einsatz, wo Kabel nicht praktikabel sind. Mit einem breiten Netz aus elektrifizierten Straßen und Parklätzen können in Zukunft kleinere Batterien in E-Autos verbaut werden. E-Busse mit festgelegten Strecken können pausenlos betrieben werden, E-LKWs weite Strecken ohne Ladepausen zurücklegen.
Die DWPT-Technologie hat aber noch zwei Nachteile: Eine geringe Lade-Effizienz und vergleichsweise hohe Baukosten im Vergleich zu herkömmlichen kabelgebundenen Methoden. Die induktive Ladegeschwindigkeit ist niedriger als beim kabelgebundenen Laden, auch wird die Batterie im Gegensatz zur Kabel-Aufladung nicht voll aufgeladen. Für effektives Laden braucht es daher lange Streckenabschnitte mit vielen Spulen, damit diese unabhängig voneinander arbeiten und den Ladevorgang beschleunigen.
ÖPNV, Logistik, Individualverkehr
Wie praktisch, wenn das E-Fahrzeug schon während der Fahrt auflädt. Das ist bequem und spart Zeit. Das zugehörige DWPT-Verfahren funktioniert genauso wie bei Smartphone oder Zahnbürste – bloß für Autos und auf Straßen. Besser gesagt in Straßen: Die verbauten Kupfer-Magnetspulen warten auf ein E-Auto mit Gegenspule. Bei Kontakt lädt das Fahrzeug auf. Die Idee geht zurück auf Nikolai Tesla, der schon Ende des 19. Jahrhunderts mit drahtloser Energieübertragung experimentierte. Damals war seine Vision noch zu groß für die Praxis, doch über ein Jahrhundert später könnten sich Teslas Ideen als innovativer Beschleuniger der Verkehrswende erweisen.
Elektrifizierte Straßen sind vor allem an Verkehrsknotenpunkten und vielbefahrenen Straßen sinnvoll und ein Gewinn für ÖPNV, Logistik- und Individualverkehr gleichermaßen. Induktives Laden ergänzt das kabelgebundene Laden und macht Elektromobilität effizienter und kostengünstiger: „Die Batterie, nach wie vor das teuerste Bauteil eines Elektroautos, könnte in Zukunft wesentlich kleiner und leichter werden, weil sie nur noch kurzen Strecken ohne elektrifizierte Straße benötigt,“ erklärt Dr. Alexander Kühl. Er lehrt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im Bereich Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik. Doch bis zur flächendeckenden Umrüstung auf elektrifizierte Straßen muss die Technologie noch ausgiebig getestet werden.
Die Batterie, nach wie vor das teuerste Bauteil eines Elektroautos, könnte in Zukunft wesentlich kleiner und leichter werden, weil sie nur noch kurzen Strecken ohne elektrifizierte Straße benötigt.“
– Dr. Alexander Kühl, lehrt an der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)
1000 Meter Teststrecke
In der Kleinstadt Balingen südwestlich von Stuttgart startete in diesem Jahr ELINA, das erste öffentliche kabellose Straßenprojekt in Deutschland. E-Shuttlebusse pendeln zwischen Bahnhof und der Gartenschau hin und her und werden während der Fahrt induktiv aufgeladen. Dafür verbauten das baden-württembergische Energieversorgungsunternehmen EnBW mit den Balinger Stadtwerken und dem israelischen Start-Up Electreon Kupfer-Magnetspulen in einem 1000 Meter langen Streckenabschnitt. An den jeweiligen Endhaltestellen gibt es zudem induktive Ladestationen.
„Der ÖPNV bietet die ideale Testumgebung, um induktives Laden für große Fahrzeuge zu testen: Er hat definierte Wege auf kleinem Raum,“ sagt Alexander Pöllauer, Elina-Projektleiter für EnBW. „Aufgrund der wenigen Busrouten spielt die kontaktlose Energieübertragung besonders gut ihre Vorteile aus.“
Für den Energieversorger EnBW ist es nicht das erste Projekt rund um induktives Laden: „Wir sammelten mit der Technik bereits erste Erfahrungen auf unserem Betriebsgelände in Karlsruhe“, so Pöllauer. Der nächste logische Schritt war also, das Konzept im öffentlichen Raum zu testen. Dabei wird auch untersucht, wie effektiv die Magnetspulen arbeiten: „Aktuell werden rund 70 kW an die drei Empfängerspulen im Bus übertragen. Die Energiemenge hängt von Faktoren wie Häufigkeit der Überfahrt, Fahrgeschwindigkeit oder Wartezeit an den induktiven Haltestellen ab“, erklärt Pöllauer. Parallel zum technischen Betreib entwickelt das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein Planungstool für öffentliche E-Busnetze. Ziel ist eine Blaupause für Städte auf der ganzen Welt, um elektrifizierte Straßen möglichst effizient in die Verkehrsplanung einzubinden.
Induktiv geladener Gabelstapler im SMA Logistikzentrum
Auch in der Industrie nutzen erste Firmen die Vorteile des induktiven Ladens: Im Kassler Logistikzentrum der SMA Solar Technology AG, ein Spezialist für Photovoltaik- und Speicher-Systemtechnik, sind seit 2019 mehrere induktiv ladende Gabelstapler auf den Fluren der Lagerhallen unterwegs. Schon ein kurzer Halt an einer stationären elektrischen Senderspule – etwa beim Be- und Entladen – startet den Ladevorgang. Das bringt gleich mehrere Vorteile mit sich: Die Stapler sind immer einsatzbereit. Die sperrige Ersatzbatterie braucht es nicht mehr, auch der zeit- und kraftaufwändige Batteriewechsel zum Schichtende entfällt komplett. So bleiben den Mitarbeitenden mehr Zeit und Energie für ihre eigentlichen Tätigkeiten.
Link zum Video: Induktives Laden für Flurförderzeuge und Gabelstapler bei SMA Kassel.
Trip auf der elektrischen Autobahn
Die induktive Ladetechnik ist nicht nur für den öffentlichen Personennahverkehr, sondern auch für den Logistik- und Individualverkehr auf Autobahnen interessant. Auf der schwedischen Insel Gotland gibt es seit 2020 die weltweit erste DWPT-Teststrecke für E-LKWs und E-Busse. Auf einer 1,6 Kilometer langen Strecke laden die Fahrzeuge mit mehreren Empfängerspulen bei Geschwindigkeiten bis zu 80 km/h auf. Vor kurzem erweiterte Electreon das Projekt um eine Strecke im Norden Schwedens, um die Winterfestigkeit des DWPT-Systems zu testen.
Das Forschungsprojekt E|MPOWER strebt die Serienproduktion von elektrifizierten Straßen an. Eine Autobahn in Nordbayern bekommt im kommenden Jahr einen 1000 Meter langen Abschnitt mit Kupfer-Magnetspulen, sodass ab 2025 jeder die induktive Ladetechnologie ausprobieren kann. Ein Team um Dr. Alexander Kühl von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) entwickelt einen Standard für die Herstellung und den Verbau der Magnet-Spulen: „Wir arbeiten gerade an verschiedenen Prozessen und Technologien, um die Ladesysteme in Straßen unterschiedlichsten Materials zu integrieren.“
Die FAU in Erlangen-Nürnberg forscht seit 2010 in diversen Projekten an der Entwicklung von induktiven Ladesystemen: „Wir sehen die induktive Ladetechnologie als Lösungsmöglichkeit für die Elektrifizierung der Transport- und Logistikbranche. Diese macht bekanntlich den größten Teil der CO2-Emissionen im Verkehrssektor aus“, so Kühl.
Induktives Laden wird Teil der Verkehrsplanung
Induktives Laden und elektrifizierte Straßen können das stationäre Laden von E-Fahrzeugen schon bald sinnvoll ergänzen, auch wenn die drahtlose Ladeleistung- und Geschwindigkeit noch ausbaufähig sind. Im ÖPNV und in der Logistik – also überall, wo Fahrzeuge auf festgelegten Routen verkehren – entfaltet die Technologie schon jetzt ihr Potenzial. „E-Busse fahren länger ohne Unterbrechung, Logistikfahrzeuge transportieren mehr und brauchen gleichzeitig weniger Ladepausen“, fasst Alexander Kühl zusammen. Doch bis sich die Ladetechnologie flächendeckend etabliert, „wird noch einige Zeit vergehen“, so Kühl. Dafür braucht es erstmal viele elektrifizierte Fahrbahnkilometer und die entsprechenden Gegenspulen in E-Fahrzeugen. Audi, Nissan, VW und Co. stecken viel Geld und Ressourcen in die Technologie. So will VW schon 2024 serienmäßig eine Empfängerspule in ausgewählte E-Autos verbauen. Auch wenn momentan für einen elektrifizierten Kilometer Straße zwischen zwei und drei Millionen Euro anfallen, kann „die Elektrifizierung von Straßen bei Bauarbeiten künftig automatisch mitgedacht werden“ – als optimale Ergänzung zum Ladesäulennetz.