Solarenergie aus dem Weltall
Im Weltraum scheint die Sonne Tag und Nacht. Kein Mond wirft seinen Schatten, kein Wölkchen trübt die Aussicht. Wir könnten mit außerirdischer Photovoltaik rund um die Uhr Energie gewinnen. Beziehen wir demnächst unseren Strom aus dem Orbit?
Die Idee ist als ingenieurtechnisches Konzept schon seit 1967 im Umlauf. Über das Funktionsprinzip sind sich Forscher:innen weltweit seit den frühen 2000er-Jahren einig: Auf einer Trägerstruktur fangen Solarzellen das Licht der Sonne ein und wandeln sie um in elektrische Energie. Diese wird für den Transport in Mikrowellenenergie konvertiert und zur Erde gesendet. Am dortigen Empfängermodul wird aus der Mikrowellenenergie wieder elektrische Energie zur Einspeisung ins Stromnetz.
Verlockende Vorstellung
Solarstrom aus dem Orbit eröffnet die Möglichkeit, den steigenden Energiebedarf zu decken, ohne dafür viel Fläche zu beanspruchen, die auch für die Lebensmittelerzeugung und Behausung der nach wie vor wachsenden Weltbevölkerung geeignet wären. Da draußen ist der Platz ja praktisch unbegrenzt.
Ein paar nicht ganz unbedeutende Fragen sind allerdings noch offen: Erstens, wie kommt die umfangreiche Technik ins All? Kriegen wir sie zweitens dort zusammengebaut? Funktioniert die auf der Erde im Kleinen erprobte Übertragung der gewonnenen Energie drittens auch über eine Entfernung von 36 000 Kilometern? Weswegen Elon Musk das Thema Solarenergie aus dem Weltraum vor 10 Jahren als den größten Blödsinn aller Zeiten abgehakt hat.
Die Tatsache, dass erste Demonstrationsprojekte – auch im Weltraum – laufen, deutet jedoch daraufhin, dass es sich dabei vielleicht nicht mehr nur um Sciencefiction handelt.
SOLARIS – Europas Energieversorgung aus dem All
Leopold Summerer leitet das „Advanced Concepts Office“ der Europäischen Weltraumagentur ESA einschließlich dessen „Advanced Concepts“-Teams. Der multidisziplinäre Thinktank erforscht innovative Konzepte mit langfristigen Auswirkungen auf die Raumfahrt. Wie lange die Energieerzeugung im Weltall schon in der Wissenschaftsszene kursiert, wird an seiner eigenen Begegnung mit dem Thema deutlich: „Das erste Mal habe ich während meines Physikstudiums an der Universität über das Konzept gelesen“, erzählt Summerer. „Die erste ingenieurwissenschaftliche Diskussion hierzu, an die ich mich erinnere, fand 1999 in einem von der International Space University organisierten Kurs statt. Anfang der 2000er Jahre begann ich als Post-Doc mit der Forschung zu dem Konzept.“
Für Leopold Summerer hat Solarenergie aus dem Weltraum eine hohe Relevanz – der Grund liegt für ihn auf der Hand: „Der Klimawandel! Wenn dieses Konzept auf kosteneffiziente Weise dazu beitragen kann, den Übergang zu einem CO2-neutralen Energiesystem zu schaffen, dann müssen wir die entsprechenden Schlüsseltechnologien entwickeln.“
Und genau das ist das Ziel einer Initiative der ESA mit dem Namen SOLARIS. Im November 2022 wurde sie als Bestandteil des allgemeinen Technologieprogramms der ESA genehmigt und soll eine Bewertung der technischen Machbarkeit, der Vorteile, Chancen und Risiken der Solarenergie aus dem Weltraum ermöglichen: Welchen Beitrag kann sie zu einer sauberen Energieversorgung bis 2050 leisten?
Auf der To-Do-Liste von SOLARIS stehen die Sensibilisierung der europäischen Energieversorger, der nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission; Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Ländern, Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsfragen sowie Ansätze zur Regulierung und internationalen Koordinierung der Raumfahrtpolitik.
Imagevideo der Europäischen Raumfahrtagentur ESA zum SOLARIS-Program
Leopold Summerer: „Unser Ziel ist es, den Entscheidungsträgern im Jahr 2025 glaubhaft zu vermitteln, ob es möglich ist, mit dem Konzept auf kosteneffiziente Weise zum Null-Emissionsziel für 2050 beizutragen.“ Sind die Schlüsselbausteine der Technologie bis dahin weit genug entwickelt, „würde das eine Umsetzung im industriellen Maßstab rechtfertigen“, sagt Summerer. Mit diesen Schlüsselbausteinen sind vor allem hocheffiziente Solarzellen, drahtlose Energieübertragung und die robotische Montage in der Umlaufbahn gemeint. Der nächste Schritt – immerhin schon im Jahr 2025 – wäre ein umfassendes Entwicklungsprogramm, für das SOLARIS einen Vorschlag erarbeiten wird.
„Raumfahrtprojekte sind fast zwangsläufig ehrgeizig und anspruchsvoll. Sie verlangen von uns, neue Lösungen für technische Probleme zu finden, die bisher noch niemand lösen musste. Bei der Solarenergie aus dem All kommt noch eine Ebene hinzu. Diese Idee ist so viel größer ist als alles, was wir bisher im Weltraum gemacht haben. Das System so zu skalieren, dass sich damit Energie, einschließlich der Konstruktion im Weltraum, kosteneffizient produzieren lässt, ist eine Herausforderung … und spannend.“
Leopold Summerer, Leiter des Advanced Concepts Teams der Europäischen Raumfahrtagentur ESA
Alle Welt forscht an der Solarenergie aus dem All
„Wir haben einen kontinuierlichen, offenen und sehr kooperativen Austausch mit allen wichtigen Akteuren, die weltweit auf diesem Gebiet tätig sind“, sagt Leopold Summerer. Sichtbar wurde dies bei einem zweitägigen Online-Workshop der ESA zur Weltraum-Solarenergie im Dezember 2021. Dort trafen sich die renommierten Vertreter:innen des Forschungsgebiets aus aller Welt. Mit von der Partie war auch John Mankins, Vorstand der National Space Society, der schon 1995 für die NASA einen „Neuen Blick auf Solarenergie aus dem Weltraum“ geworfen hat und heute mehr denn je überzeugt ist, dass wir unsere Energie einmal aus dem All beziehen werden.
Mit sinkenden Kosten für Material und Transport, steigender Effizienz und dem Fortschritt bei übertragbaren Technologien gewinnt „Space-based Solar Power“ Fans in aller Welt.
Hochfliegende Pläne
Ende 2021 hat das US Air Force Research Laboratory ein technisches Element für die Umwandlung von Sonnen- in Hochfrequenzenergie am Boden getestet. Konzepte und Modelle für weitere kritische Technologien und ihre Einbindung in ein funktionierendes Gesamtsystem sind in Arbeit. Mit der Arachne-Mission soll voraussichtlich 2025 ein größerer Prototyp in die Erdumlaufbahn gebracht werden.
Solarzellen-Origami
Während die Air Force sich von der extraterrestrischen Energiegewinnung strategische Vorteile für die Streitkräfte erhofft, ist das California Institute of Technology (CalTech) mit seinem Space Solar Power Project primär in friedlicher Mission unterwegs. Die CalTech Forscher:innen aus Materialwissenschaft, Elektro- und Luftfahrtechnik entwickeln für den Transport faltbare Komponenten aus ultraleichten Materialien und wollen demnächst einen ersten Prototypen ihrer Anlage ins All befördern..
Ein Königreich für Solarenergie aus dem All
Einen straffen Zeitplan verfolgt auch die britische Weltraum-Energie-Initiative (SEI) mit zahlreichen Playern aus Politik, Forschung und Wirtschaft. Bis 2030 wollen sie das erste Solarenergie-Demonstrationssystem im Orbit errichten. Mitte der 2040er Jahre sollen Solarstromsatelliten das Vereinigte Königreich zu einem erheblichen Teil mit Energie versorgen.
Japans hohe Ambitionen
Japan erforscht Solarstrom aus dem All nach eigenen Angaben seit den 1980er Jahren. Neben Mikrowellen sind hier noch Laserstrahlen zur Übertragung der Energie auf die Erde im Gespräch. Die mittlerweile verantwortliche Agentur zur Erforschung der Luft- und Raumfahrt Japans (JAXA), rechnet mit dem Betrieb eines ein Gigawatt-Kraftwerk in den 2030ern. Kleinere Anlagen könnten schon früher im Orbit kreisen.
Auch an der chinesischen Xidian-Universität läuft Presseberichten zufolge ein Projekt, in dem die Übertragung von Energie mithilfe von Mikrowellen erprobt wird.
Ob die extraterrestrische Energieversorgung Realität wird, oder ob Elon Musk Recht behält, dürfte also in den nächsten Jahren ans Licht kommen. Leopold Summerer von der ESA vermutet jedenfalls, dass der SpaceX-Multi-Unternehmer nicht ganz auf dem Laufenden ist: „In Anbetracht der Anzahl und Vielfalt seiner Aktivitäten hatte er wohl nicht die Zeit, sich eingehend mit der Materie zu beschäftigen.“
Die Kosten für den Start in den Weltraum sinken rapide. Solarzellen sind billiger als je zuvor. Können wir Kraftwerke im All bauen? Dieser Frage geht die Financial Times in einem sehenswerten Video nach.