Glasklarer Durchblick mit grünem Mehrwert
Fensterglas gibt es schon seit über 2000 Jahren. Es ist so alt wie praktisch: Als Teil einer Gebäudefassade lässt es Licht in den Raum. Man kann es öffnen, um frische Luft hereinzulassen. Je nach Jahreszeit hält es die Wärme drinnen oder die Hitze draußen. Moderne Architektur kleidet Gebäude gerne in ein Glasgewand, ikonische Wolkenkratzer wie The Shard in London, das Burj Khalifa in Dubai oder das neue World Trade Center in New York sind nur drei eindrucksvolle Beispiele. Schon bald gewinnt Fensterglas eine neue, äußerst praktische Funktion hinzu – saubere Energieerzeugung.
Schattenspiel der Sonne
Dass gebäudeintegrierte Photovoltaik auch für Fensterflächen attraktiv ist, zeigte schon die Günther Cramer Solar Academy der SMA Solar Technology AG – und das bereits vor 14 Jahren. Das ins Licht gedrehte Gebäude steht unweit der Firmenzentrale in Niestetal und ist Wissens- und Energiequelle zugleich. Zu seiner Fertigstellung 2010 war die Solar Academy nicht nur ein klimaneutrales wie energieautarkes Gebäude, sondern auch eine der weltweit ersten Inselanlagen. Und für SMA ist es seit jeher der beste Beweis, „dass eine autonome, zuverlässige und umweltfreundliche Stromversorgung möglich ist – selbst in Niestetal, was nicht gerade mit Sonne verwöhnt wird,“ sagt Dr. Tillmann Blume, Leiter der SMA Solar Academy.
Für die Versorgung der Solar Academy mit Sonnenstrom sorgen etliche Solar-Wafer auf dem Dach und in der fast vollständig verglasten Südfassade des Gebäudes. „Diese Wafer sind der Grundbaustein von Solarzellen. Sie wurden zwischen die doppelt verglasten Fenster integriert und werfen ein beeindruckendes wie gewolltes Schattenspiel und unterstützen so zugleich die Gebäude-Kühlung an Sonnentagen“, so Blume. Zusammen mit zahlreichen Solarmodulen auf dem Dach erzeugt die Solar Academy 90 kW Spitzenleistung Solarstrom und deckt damit mehr als die Hälfte des Energiebedarfs des Gebäudes. Gleichzeitig ist die Academy ein Vorzeigeprojekt moderner Solararchitektur und bekam u.a. 2013 den Deutschen Solarpreis.
Solarfenster sucht Rahmen
Über ein Jahrzehnt später ist der Traum von stromerzeugendem Fensterglas realistischer denn je. An der transparenten Solarzelle wird eifrig und erfolgreich geforscht, vor allem die USA, Deutschland und Südkorea liefern sich ein technologisches Wettrennen mit unterschiedlichen Ansätzen.
Etwa am weltweit renommierten Massachusetts Institute of Technology – besser bekannt unter der Abkürzung MIT. Aus einem Forschungsprojekt heraus entstand nicht nur das Unternehmen Ubiquitous Energy, sondern auch ein Solarfenster-Prototyp. Der unterscheidet sich auf dem ersten Blick nicht von normalem Fensterglas, doch der Clou steckt im Rahmen: Dort stecken Solarzellen, die UV-Licht in grüne Energie umwandeln. Damit das Licht zum Rahmen kommt, entwickelte Ubiquitous Energy eine bereits bekannte Technologie weiter: Low Emissivity, kurz Low-E. Dahinter steckt eine hauchdünne Metallschicht, die aufs Glas aufgetragen wird und Teile des Lichtspektrums herausfiltert, um Gebäude im Winter besser warm und im Sommer kühl zu halten. Die optimierte Low-E-Version ist so beschaffen, „um nur die ultravioletten und die infrarotnahen Wellenlängen aufzunehmen“, erläutert Richard Lunt, Professor für chemische Verfahren und Materialwissenschaften an der Michigan State University und Mitgründer des Start-Ups. Die UV- und Infrarotstrahlung wird in den Rahmen weitergeleitet und dort in grüne Energie umgewandelt.
Gebäude mit großflächigen Glasfassaden könnten damit in Zukunft zu vertikalen Solarfarmen werden und mindestens ihren eigenen Energiebedarf decken. Dass diese Idee funktioniert, zeigt die eigene Firmenzentrale: Die ca. 10m² große Solarfensterfassade erzeugt genug Strom für die LED-Deckenbeleuchtung des Konferenzraums. Doch der Weg bis zum kommerziellen Durchbruch steckt voller Herausforderungen: Die Solarfenster kosten ein Drittel mehr als konventionelle Fenster. Hinzu kommt die geringe Energieausbeute der Solarzellen: Mit fünf Prozent Wirkungsgrad werden sie von konventionellen Solarzellen klar in den Schatten gestellt. Offen bleibt zudem die Frage, wie der Strom effektiv verteilt wird – oder durch Jalousien und Sensoren direkt am Fenster gezapft wird. Das amerikanische Start-Up will schon in wenigen Jahren eine wirtschaftlich lukrative Version für den Massenmarkt präsentieren.
Transparente Solarzellen
Forschende an der Universität Leipzig sind der Vision von Solarfenstern schon einen entscheidenden Schritt näher. Der Festkörper- und Halbleiterphysiker Prof. Marius Grundmann und sein Team stellen 2016 die weltweit erste transparente Solarzelle vor. Diese besteht nicht wie üblich aus Silizium, sondern aus Nickel- und Zinkoxiden, die leitfähiger sind. Die Zelle wandelt UV-Licht direkt in Energie um, aber momentan liegt der Wirkungsgrad bei gerade einmal vier Prozent – zu wenig, um damit ernsthaft und zuverlässig arbeiten zu können. Doch die Ausbeute lässt sich noch steigern, denn der ultraviolette Bereich des Lichtspektrums ist hochenergetisch. Doch laut Grundmann will aktuell momentan niemand das Konzept im industriellen Maßstab umsetzen, vor allem aufgrund der geringen Kosten-Nutzen-Rechnung.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt ein Forschungsteam der staatlichen Universität Incheon an der Nordwestküste Südkoreas. Die hier entwickelte transparente Solarzelle besteht aus Titan- und Nickeloxid. Auf das Glassubstrat werden Halbleiter aufgetragen, die eigentlich konventionelle Solarzellen undurchsichtig machen. Der Prototyp kam zuletzt auf einen Wirkungsgrad von gerade einmal 2,1 Prozent, dafür funktionierte die Energieerzeugung auch bei schwacher Lichteinstrahlung. Daher wird auch hier an der Effizienz gearbeitet. Währenddessen steht an der Südostküste eine gänzliche andere Idee hoch im Kurs. Das Ulsan National Institute of Science and Technology setzt auf optische Täuschung: Die Forschenden bohrten in konventionelle intransparente Siliziumsolarzellen etliche Mikro-Löcher mit einem Durchmesser von 100 Mikrometer – etwa so groß wie ein menschliches Haar. Das von den tausenden Löchern erzeugte Muster wird nicht vom menschlichen Auge erkannt, die Solarzelle erscheint daher transparent. Der optischen Täuschung sei Dank kommen die Solarzellen auf einen erstaunlich hohen Wirkungsgrad von 12 Prozent. Darüber hinaus wäre der industrielle Herstellungsprozess der eingestanzten Solarzellen ähnlich wie bei konventionellen Solarzellen – dementsprechend hoch sind die Hoffnungen auf einen kommerziellen Durchbruch des Solarfensters.
Das Rennen der Technologien
Ob nun per Metallschicht, Metalloxid, Halbleiter oder optischer Täuschung: Solarfenster können in den kommenden Jahren zur rentablen Realität werden. Der Erfolg und Misserfolg der Technologie steht und fällt mit dem Wirkungsgrad. Dafür braucht es weitere Forschung, aber auch den Willen der Industrie. Zusätzlich gibt es noch ein paar offene Fragen, etwa wie der erzeugte Strom effizient verteilt oder wie stark sich das Material nach jahrelanger Sonneneinstrahlung verfärbt. Schließlich sollen die Fenster vor allem transparent bleiben. In puncto Energiewende sind konventionelle Solarzellen momentan noch günstiger und zuverlässiger, auch wenn sie nicht überall angebracht werden können. Doch wenn Wolkenkratzer und Glasfassaden eines Tages wirklich zu wirtschaftlich rentablen vertikalen Solarfarmen werden, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Energie- und Bauwende.