Immer der Sonne nach

Solares Bauen gestern und heute.
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Text: Anne Pohl, 15.05.2023

Vom passiven „House of Tomorrow“ des US-amerikanischen Architekten George F. Keck bis zum Klimahaus in Schallstadt mit eingebauter Kühlung, von der Utopie zum Plus an Energie: Eine Zeitreise durch 90 Jahre Solararchitektur.

Das erste passive Solarhaus stand in Chicago

„Dieses Glas- und Stahlhaus ist rund, wie drei aufeinandergetürmte Trommeln, deren oberste das von einer kreisrunden Dachterrasse umschlossene Solarium darstellt.“  Die Besucher der Chicagoer Weltausstellung von 1933, die sich nach Lektüre des Kataloges das „House of Tomorrow“ des Architekten George Fred Keck anschauten, kamen aus dem Staunen nicht heraus: Neben einer Werkstatt und einem eigenen Flugzeughangar samt Nachbau von Lindberghs „Spirit of St. Louis“ hatte es auch allerlei modernste Technik-Gadgets zu bieten: zum Beispiel eine Geschirrspülmaschine und einen Kühlschrank, der ohne Eisblöcke betrieben werden konnte. Auch in anderer Hinsicht war George Fred Keck mit seinem Zukunftshaus seiner Zeit weit voraus: Durch Zufall hatte man während des Baus entdeckt, dass durch die Glasfronten schon vor dem Einbau einer Heizung angenehme Temperaturen herrschten – das erste passive Solarhaus der Moderne war geboren. Die Erfahrungen, die Keck mit seinem „House of Tomorrow“ machte, führten wenige Jahre später zur Entwicklung des ersten Thermopane Mehrscheiben-Isolierglases!

Das Solar-Denkmal „Heliotrop“

Seit 1994 lebt der Freiburger Architekt Rolf Disch in einem von ihm entworfenen Drehsolarhaus, das ebenso zylindrisch ist wie Kecks „House of Tomorrow“. „Wir haben versucht, die Oberfläche im Verhältnis zum umbauten Raum zu reduzieren, um Wärmeverluste zu minimieren“, erzählt er. „Eine Kugel wäre ideal, aber mit der zylindrischen Form sind wir ziemlich nah dran.“

Rolf Disch SolarArchitektur
Zylindrische Form gegen Wärmeverluste: Das denkmalgeschützte „Heliotrop“ des Freiburger Architekten Rolf Disch dreht sich mit der Sonne.

Sein „Heliotrop“, das vor kurzem zum Kulturdenkmal erklärt wurde, steht wie ein Baum auf einem ursprünglich nicht als bebaubar angesehenen Grundstück. Die Vorderseite des Gebäudes ist verglast, die Rückseite wärmeisoliert. Das Besondere: Das ganze Haus dreht sich langsam um seine Achse. An heißen Tagen wird die Glasfassade von der Sonne weggedreht, an kalten Tagen zu ihr hin, um den Treibhauseffekt zu nutzen. Auch die Fotovoltaikanlage auf dem Dach richtet sich wie eine Sonnenblume an der Sonne aus. Das „Heliotrop“ war weltweit das erste Plusenergiehaus, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. Neben der PV-Anlage gibt es sichtbar an den Balkonbrüstungen angebrachte Röhrenkollektoren, die das Wasser erwärmen und die Räume heizen. Regenwassernutzung, Komposttoiletten und eine Schilfkläranlage tragen dazu bei, dass das Gebäude zu 100 Prozent regenerativ, emissionsfrei und CO2-neutral ist.

Den Kern des „Heliotrop“ – eine 14 Meter hohe Säule mit einem Durchmesser von fast drei Metern – hat der gelernte Schreiner Rolf Disch aus Holz geplant. Das erwies sich als eine der größten Herausforderungen.

„In der Säule sind jede Menge Löcher für die Zimmertüren, und es gab bis dahin überhaupt kein Verfahren, um die Statik zu berechnen. Das musste erst von Mathematikern der Uni Zürich entwickelt werden“, erinnert sich Rolf Disch. „Die nächste große Herausforderung war dann, denn richtigen Leim für das Holz zu finden“, erzählt Disch weiter. „Der musste genauso flexibel oder starr sein wie das Holz, um die seitlichen Spannungen auszuhalten, wenn ein starker Wind weht“.

Rolf Disch SolarArchitektur

Mittlerweile steht das „Heliotrop“ seit fast 30 Jahren auf seinem hölzernen Fuß und zeugt von den Anfängen des ökologischen Bauens in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Übrigens ist es das erste Kulturdenkmal, bei dem die Fotovoltaikanlage zum Schutzgut dazugehört!

„Viel zu teuer, funktioniert nicht“

Für den Architekten Rolf Disch war das „Heliotrop“ keineswegs ein „One Hit Wonder“. Zur EXPO 2000 baute sein Büro die Freiburger „Solarsiedlung am Schlierberg“ mit 59 Wohnhäusern in Holzbauweise und mit Dächern aus Fotovoltaikmodulen sowie dem Gewerbe- und Wohngebäude „Sonnenschiff“. Damals fanden sich weder Banken noch Bauträger, die das Projekt durchführen wollten. „Alle haben gesagt, das sei viel zu teuer und werde nicht funktionieren“, sagt Rolf Disch. „Ich wollte es aber wissen und habe dann selbst eine Bauträger-Firma gegründet. Finanziert haben wir das Projekt schließlich auf dem privaten Kapitalmarkt mit Unterstützung von Alfred Ritter und seiner Schwester Marli Hoppe Ritter von ‚Ritter Sport‘, die an uns geglaubt haben.“ Heute erzeugt die Solarsiedlung rund 420.000 kWh Solarstrom im Jahr, und wie im neuen Utrechter Cartesiusviertel bleibt das Gelände dank einer Tiefgarage unter dem Bürogebäude „Sonnenschiff“ und einem wohlorganisierten Car-Sharing-System weitgehend autofrei.

Der Klimawandel erreicht auch die Solar-Architektur

Das neueste Projekt von Rolf Dischs Architekturbüro – wieder in eigener Bauträgerschaft – steht in der baden-württembergischen Gemeinde Schallstadt. Die Klimahäuser Schallstadt sind die ersten Plusenergie-Gebäude des Architekten, die über eine eingebaute Kühlung verfügen: Im Sommer wird die Fußbodenheizung einfach von kaltem statt warmem Wasser durchströmt. Projektleiter Dr. Tobias Bube: „Vor zehn oder 15 Jahren hätte ich noch gedacht, dass es ohne Kühlung gehen muss. Aber die letzten zehn Sommer waren hier die zehn heißesten seit Beginn der Klima-Aufzeichnungen. Wir sind im Klimawandel, die Sommer sind furchtbar heiß – da bleibt uns nichts anderes übrig. Heizen ist eine Sache, aber Kühlen wird auch immer wichtiger.“ Zum Haus gehört auch ein Mobilitätskonzept mit E-Bike und E-Car-Sharing, das die Bewohner ermutigen soll, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Klar, dass die Tiefgarage unterm Haus für Verbrenner gesperrt und Elektroautos und Fahrrädern vorbehalten bleibt.

Werkschau eines österreichischen Pioniers

Wie Rolf Disch gilt auch der Österreicher Georg W. Reinberg als einer der Pioniere der Solararchitektur und des ökologischen Bauens im deutschsprachigen Raum. Das bereits 2021 im Birkhäuser Verlag erschienenes Buch „Architektur für eine solare Zukunft/Architecture for a Solar Future“ gibt einen Überblick über Reinbergs Schaffen in den Jahren 2008 bis 2020. „In diesen zwölf Jahren hat sich im Bereich des ökologischen Bauens viel geändert“, schreibt Reinberg im Vorwort zu seinem Buch. „Die ökologischen Fragen und die drohende Klimakatastrophe sind in das allgemeine Bewusstsein gerückt, Bauvorschriften, Gesetze und europäische Programme nehmen vermehrt Rücksicht auf die Umweltfragen und es gab stürmische technische Weiterentwicklungen. […] Entsprechend konnten wir unsere Avantgarde-Bauten zu Netto-Plus-Energiehäusern weiterentwickeln, vermehrt nachwachsende Baustoffe einsetzen, Konzepte für Stadtteile entwickeln, die sich selbst versorgen, und auch neue Konzepte gemeinschaftlichen Wohnens realisieren.“ Schön an diesem „spannenden Logbuch aus Sicht des Architekten“ (Verlag) mit einem chronologischen Projektüberblick vom Sozialen Wohnungsbau bis zum Reihenhaus – ist auch, dass auftauchende Probleme nicht ausgeklammert worden sind.

SMA unterstützt junge Architekten beim Solar Decathlon

2022 fand der internationale Wettbewerb „Solar Decathlon Europe 21/22“ zum ersten Mal in Deutschland statt. 18 Studententeams aus elf Ländern zeigten vom 10. bis zum 26. Juni auf dem Wuppertaler Solar Campus ihre energieeffizienten Bestandsbauten, deren Energiebedarf ausschließlich durch Solarenergie gedeckt wird. SMA hat beim Solar Decathlon das Düsseldorfer MIMO-Team mit Knowhow und einer PV-Anlage unterstützt. MIMO steht für das Arbeitsprinzip des Teams: Mit „minimal impact – maximal output“ haben die 40 Studenten und neun Professoren des interdisziplinären Teams das „Café Ada“ saniert und ein neues Geschoss auf das 1905 gebaute Lagerhaus gesetzt. Dafür gab es beim Wettbewerb den vierten Platz.